Es ist schon nach 10:00 Uhr und wir sitzen gemütlich auf der Terrasse von Smith Koffiehuis. French Breakfast – das hört sich nicht schlecht an, aber in Wirklichkeit sind es zwei Croissants, Marmelade, Butter und Kaffee. Wir müssen sehr lange auf unsere frisch aufgebackenen Croissants warten, dafür sind sie schnell gegessen. Übrig bleibt ein Bröselhaufen, der zudem sehr fettig ist. Na ja, satt sind wir trotzdem geworden. Wir genießen noch eine Weile die immer wärmer werdende Sonne. Als uns der Baulärm vom angrenzenden Bahnhof dann doch zuviel stört, machen wir uns auf den Weg die Stadt zu erkunden. Als erstes möchten wir es wieder mit der imposanten Sint Nicolaaskerk versuchen, aber auch heute stehen wir wieder vor verschlossenen Toren.

Es ist ja nicht die einzige Kirche Amsterdams, also spazieren wir weiter und suchen uns die Oude Kerk. Sie wurde Anfang des 14. Jhdt´s zu Ehren des Schutzheiligen der Stadt, des Hl. Nikolaus – dem Wasserheiligen –errichtet. Sie ist das älteste Gebäude der Stadt (1306) und zählt zu den großen moralischen Widersprüchen Europas. Das Gotteshaus blickt nämlich direkt auf den Rotlichtbezirk. Die ursprüngliche Basilika wurde 1340 durch eine riesige Dreihallenkirche mit kompliziertem Gewölbe ersetzt. Wie durch ein Wunder blieb sie von der Feuersbrunst 1452 verschont. Der 1565 hinzugefügte Kirchturm zählt zu den schönsten Amsterdams. Die Kirche sollte ursprünglich noch erweitert werden, aber die Pläne verschwanden in der Schublade, als finanzielle Mittel zur Nieuwe Kerk umgeschichtet wurden. Aufgrund von Vorbereitungen für eine Ausstellung in der Kirche dürfen wir auch da nicht hinein.

Nach kurzer Ratlosigkeit schlendern wir weiter und sehen uns noch einmal im Rotlichtbezirk um. Wir haben den Eindruck, dass heute weniger Prostituierte in den Auslagen stehen. Na ja,es ist ja Wochenanfang und der Tag ist noch lang! Als wir eine Dame heimlich filmen möchten, zieht sie schnell den Vorhang zu und macht ihn erst wieder auf, als sie sicher ist, dass wir die Kamera weggepackt haben. Und das ist auch gut so, denn kurze Zeit später tauchen zwei Polizisten auf, die auf ihren Fahrrädern Streife durch den Rotlichtbezirk fahren.

An der nächsten „Kreuzung“ können wir der Amsterdamer Straßenreinigung bei ihrer Arbeit zugucken. Da laufen ein paar Arbeiter mit den Besen herum, kehren den Dreck zusammen und dann schwups ab in die Gracht damit. Dahinter fährt eine kleine Kehrmaschine, die gleichzeitig den Straßenbelag noch mit einem Wasserstrahl reinigt. Nachdem der Reinigungstrupp sich in die nächste Gasse verzogen hat, können wir den Flaschen beim Schwimmen in der Gracht zusehen. Das erinnert uns sehr an Venedig, zum Unterschied, dass hier das Wasser nicht nach Fisch riecht! Wir sind schon ein wenig entsetzt, überlegen aber, dass uns bis jetzt eigentlich nirgends eine so derart dreckige Gracht aufgefallen ist. Das heißt irgendwo muss der Abfall aufgefangen und entfernt werden.

In der Nähe des Nieuwmarkt steht am Ende der Gasse der erste buddhistische Tempel Europas, der Guan-Yin-Tempel. Er wurde im Stil der chinesischen Kaiser erbaut und im Jahr 2000 fertig gestellt. Guan Yin erscheint wahlweise als männliche oder weibliche Form und wird manchmal auch als Göttin der Barmherzigkeit bezeichnet. Er wird mit vielen Armen dargestellt, um sämtliche Probleme der zahlreichen Bittsteller lösen zu können. Das Gebäude selbst ist einzigartig in der Stadt und erstreckt sich über mehrere Grundstücke. Leider können wir uns von der inneren Schönheit nicht überzeugen, denn der Tempel ist mit einem riesigen Eisentor verschlossen. So schlendern wir die Gasse hinunter und wieder zurück, schauen uns die Auslagen der chinesischen Geschäfte an und kokettieren mit den vielen Katzen durch die Glasscheiben.

Auf dem Nieuwmarkt steht die Waag aus dem Jahr 1488. Die Stadtwaage war ursprünglich Teil der Befestigungsanlage und schon ein Jahrhundert später hatte sich die Stadt weiter nach Osten ausgebreitet und das Tor hatte seine ursprüngliche Funktion eingebüßt. In früheren Jahren belegten mehrere Gilden das Gebäude, später diente es als Museum. Heute befindet sich ein Restaurant mit Bar darin und riesige Kerzenräder sorgen für eine stimmungsvolle mittelalterliche Atmosphäre.

Unsere Füße verlangen nach Pause und wir nützen die lustigen Sitzgelegenheiten, die direkt auf dem Nieuwmarkt stehen, um uns zu entspannen und ein wenig Sonne zu tanken. Rund um den Platz gibt es gemütliche Cafés, Restaurants und Geschäfte. Wir beobachten das rege Treiben, das hier herrscht: die Sandler, die mit den Tauben spielen, einen Kutscher, der mit den Touristen im Kreis fährt und die Jugendlichen, die ihre Mittagspause hier verbringen. In den 1970er-Jahren war der Nieuwmarkt Zentrum des Amsterdamer Drogenhandels und genoss einen sehr schlechten Ruf. Der Wendepunkt kam, als hier ein Polizist von einem Drogensüchtigen ermordet wurde. Nach einer erfolgreichen Säuberungsaktion durch die Polizei Mitte der 80er-Jahre siedelten sich wieder seriöse Geschäfte an.

Eine Stunde später sind wir schon wieder auf den Beinen und spazieren zuerst die Oude Schans hinunter Richtung NEMO und vorbei am Montelbaanstoren, einem ehemaligen Geschützturm von 1516. Er wird heute noch von den städtischen Wasserwerken genutzt. Auf der anderen Seite der Gracht sehen wir wieder die schönen, alten Speicherhäuser, die uns schon bei der Grachtenrundfahrt gezeigt wurden. Liebevoll haben die Bewohner ein winziges Gärtchen vor dem Haus angelegt und selbst auf den Treppen stehen noch Töpfe mit Blumen und Büschen. Amsterdam ist wirklich eine Blumenstadt und jeder Amsterdamer hat es im Blut mit dem Grünzeugs zu dekorieren. Kurz vor 14:00 Uhr erreichen wir wieder den Ausgangspunkt der Oude Schans, nämlich das alte Wärterhäuschen De Sluyswacht . Das kleine, schwarze Gebäude liegt windschief wie ein Schiff bei schwerer See und war früher ein Schleusenwärterhaus am Oude Schans. Heute zählt die Terrasse an der Gracht zu den schönsten Plätzen der Stadt, um bei einem Bierchen den herrlichem Blick auf den Montelbaanstoren zu genießen. Da es wieder Zeit ist für eine Rast und vor allem für ein Mittagessen, beschließen wir, uns von der Gemütlichkeit und der Aussicht zu überzeugen. Wir nehmen an einem kleinen, runden Tisch in der Sonne Platz und bestellen uns ein Dommelsch, die hauseigene Biersorte. Es schmeckt ein wenig herb, aber schon der zweite Schluck ist lecker. Auf die Speisekarte müssen wir trotz mehrmaliger Erinnerungen fast eine halbe Stunde warten. Aber was soll´s, wir haben ja alle Zeit der Welt. Unsere Sandwiches kommen dafür sehr schnell – und ehrlich, sie machen die Wartezeit wieder wett. Sie schmecken so hervorragend, dass wir jeden Bissen in vollen Zügen genießen. Mein Multigrain -Sandwich ist gefüllt mit Frischkäse, getrockneten Tomaten und Ruccola und das von Wolfgang mit ungekochter Rindswurst, Senf, Mayonnaise und Kapern. Eet smakelijk – guten Appetit!

Nachdem unsere Bäuchlein gefüllt sind, machen wir es uns so richtig gemütlich und die Aussicht ist wirklich traumhaft. Die Sonne wärmt und gleichzeitig weht ein leichtes Lüftchen. Wie im Paradies – was wünscht man sich mehr? Und um die anderen auch ein wenig von unserer Stimmung anzustecken, schreiben wir Emails an unsere Eltern und Arbeitskollegen. Sie sollen doch auch wissen, dass es uns gut geht und sich keine Sorgen um uns machen!

Nach einer langen Ruhepause setzen wir unseren Stadtrundgang fort. Gegenüber der Sluyswacht steht das Museum het Rembrandthuis. Rembrandt van Rijn lebte und arbeitete in diesem wunderbar restaurierten Haus aus dem Jahr 1606. Er kaufte es 1639 für ein Vermögen, dank seiner wohlhabenden Ehefrau, Saksia van Uylenburgh. Aber Rembrandt verstrickte sich in chronische Schulden und musste deshalb neunzehn Jahre später umziehen. Die Jahre in diesem Haus stellten den Höhepunkt seines Schaffens dar. Rembrandt war ein Star und leitete das größte Maleratelier der Niederlande, bevor er alles ruinierte, indem der sich Feinde machte und sein Geld sinnlos verpulverte.

Das Wetter ist uns zu schön, um ein Museum zu besichtigen – deshalb schlendern wir durch den angrenzenden Flohmarkt. Und der ist echt der Hammer. Verrückt, was es da alles zu kaufen gibt. Von den typischen Flohmarktartikeln, wie Kleidung, Schuhe, Bilder, Bücher und Möbeln angefangen bis hin zu allerlei spirituellen Dingen und für uns als Höhepunkt Hasch- und Cannabis-Lollies. Diese braunen und grünen Lollies machen uns schon sehr neugierig, aber wir widerstehen der Versuchung und kaufen dann doch keine. Der Preis von 5 Euros macht uns die Entscheidung leichter.

Es geht weiter, einmal um die Ecke und schon stehen wir vor der Stopera. „St“ steht für stadhuis (Rathaus) und „Opera“ versteht sich von selbst. Dieser weiße, bullige Komplex stammt aus dem Jahr 1986 und wurde nach einem Wettbewerb nach den Plänen des österreichischen Architekten Wilhelm Holzbauer und seines niederländischen Kollegen Cees Dam gebaut.

Wir spazieren über die schöne Blauwbrug. Ein wenig fühlt man sich bei ihrem Anblick an den Pont Neuf in Paris erinnert. Die aufwändig dekorierte Brücke über die Amstel wurde 1884 erbaut. Ihre Pfeiler haben die Form von Schiffsbugen, auf den Laternen thronen goldene Kaiserkronen. Blau ist die Brücke allerdings nicht – der Name stammt noch von der blau gestrichenen Holzbrücke, die hier vorher stand.

Die Magere Brug ist wahrscheinlich die meistfotografierte Zugbrücke im Zentrum Amsterdams. Am Anfang wurde sie „Hühnchenbrücke“ genannt, da sie so klein war. Später erhielt sie dann den Namen „Magere Brug“, der an eine schlanke Frau erinnern sollte. Sie stammt aus den 1670er-Jahren und war früher eine Fußgängerbrücke. Sie wurde mehrfach erneuert und verbreitert und 1929 schließlich ganz abgerissen, um Platz für eine moderne Brücke zu schaffen. Sie wurde aber aus Holz wieder aufgebaut und wird heute noch immer per Hand bedient. Eine Zeitlang stehe ich auf der Brücke und überlege, wie sich dieses Riesending am besten auf einem Bild festhalten kann. Außerdem ist es sehr schwierig das Motiv mit so wenig wie möglich Fußgängern und vor allem Radfahrern zu bekommen. Na ja und während ich so dastehe und der Dinge harre, bekomme ich langsam das Gefühl, dass der Boden unter mir wegsackt. Die Brücke schwankt derartig unter der Last des Verkehrs, dass man echt das Gefühl hat, man steht auf einem Trampolin.

In der Nähe der Brücke machen wir es uns gemütlich und genießen die Aussicht auf die Magere Brug auf der rechten und die Blauwbrug auf der linken Seite. Ich bemerke eine zeitlang nicht, dass mich der alte Mann, der neben mir sitzt, beobachtet. Dann fragt er mich, wo ich denn herkomme. Als er Österreich hört, spricht er Deutsch mit mir und erzählt mir einiges über die Brücke. Dann will er mir Holländisch beibringen und zeigt sehr viel Geduld, als er mit mir „Magere Brug“ übt. Man spricht nämlich beide Wörter so aus, als habe man etwas im Hals stecken und versucht, es wieder hochzubringen. Also: „Machere Bruch“.

Während wir wieder über die schöne Blauwbrug zurückgehen, sehen wir plötzlich, wie die Magere Brug sich teilt, damit ein Schiff durchfahren kann. Echt imposant!

Auf einer Bank in der Nähe der Brücken machen wir es uns gemütlich und beobachten das Geschehen rund um uns. Gleich gegenüber auf der anderen Seite der Gracht steht das Hotel de L´Europe. Auf der Terrasse laufen die Kellner im Frack herum und bedienen die vornehmen Herrschaften. Das amüsanteste für uns sind aber die beiden Personen, die auf dem Balkon eines Zimmers zwei Stöcke höher sitzen. Wir sind uns einig, dass es sich hierbei um Chef und Sekretärin handelt. Sie essen Salat und er schenkt ihr laufend Sekt ein (wahrscheinlich will er sie abfüllen). Wir schauen ihnen nicht ganz eine Stunde zu und in dieser Zeit leeren die beiden zwei Flaschen.

Plötzlich sind wir abgelenkt, als die Polizei mit einem Boot durch die Gracht daherkommt. Ja, in Amsterdam muss der Hüter des Landes flexibel sein. Wir haben die Streife auch schon auf Fahrrädern und Mopeds gesehen. Das Treiben auf der Gracht ist gewaltig, da kreuzen sich die Grachtenschiffe für die Touristenfahrten mit den Bootsbesitzern, die mit dem Hin- und Herfahren die Zeit totschlagen oder sich einfach crusen. Auch ein Schiff, direkt aus dem Film „Fluch der Karibik“entsprungen, mischt in dem Spektakel mit. Die drei jungen Burschen sind wahrscheinlich Brüder von Johnny Depp, denn die passen wunderbar in eine Piratecrew. Und auf der Straße ist nicht minder wenig los. Da matchen sich die Auto- mit den Radfahrern um die Vorfahrt, wobei die Radfahrer meistens die flinkeren sind.

Um nicht ganz einzurosten, schlendern wir langsam ein weiterer gesellschaftlicher Mittelpunkt der Stadt. Vor 1876 hieß er „Botermarkt“ (Buttermarkt), wovon man seine frühere Bestimmung ableiten kann: Einst verkaufte die Landbevölkerung hier ihre Produkte an die Stadtbewohner. Zwischen den beiden Weltkriegen wurde das Hotel Schiller zu einem Künstlertreffpunkt. Heute treten auf dem Platz am Tage die Straßenmusikanten vor den Gästen der Cafes und Restaurants auf. Nachts sorgen die vielen Bars und die Diskotheken für Unterhaltung. Auf dem Platz steht das Standbild vom Maler Rembrandt, der in Amsterdam lebte und starb.

Jugendliche aalen sich in der Sonne, picknicken oder sitzen einfach nur so da. Um nicht aufzufallen, passen wir uns an und machen es uns auch gemütlich. Der Blütenstaub schneit nur so herab auf uns und schon nach kurzer Zeit sind wir wie alle anderen auch vollkommen eingestaubt.

Als Abendessen nehmen wir uns eine Falafel mit viel Salat – etwas umständlich zu essen, aber total lecker! Wir flanieren den Damrak entlang, eine schöne, breite Shopping Mall, und gucken hin und wieder in eine Auslage. Es herrscht auch hier reges Treiben und deshalb fällt man nicht auf, wenn man seinen Unrat einfach wegwirft. Wir sind total entsetzt, als wir direkt neben uns einen jungen Mann beobachten, der sich auf diese Weise seiner Speisereste entledigt, obwohl keine fünf Meter weiter große Abfalltonnen stehen. Es ist aber nicht auszumachen, ob es sich um einen Einheimischen oder einen Touristen handelt. Die Mischung aller Nationalitäten macht das schwierig und alle tummeln sich geschäftig zwischen die Menschen. Kurz nach halb sieben fahren wir mit dem Bus wieder ins Hotel zurück. Wir müssen wieder Energie für den nächsten Tag sammeln, denn als gewöhnliche Büromenschen sind wir das viele Herumlatschen nicht gewöhnt.

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