Die Müdigkeit sitzt uns schon in den Gliedern. Die trockene, warme Luft im Zimmer trägt ihren Teil dazu bei, dass wir nachts nicht sehr gut schlafen und uns morgens wie erschlagen fühlen. Trotzdem müssen wir heute früher als sonst aus den Federn und uns auf den Weg machen.
Wir besorgen uns ein Frühstück und setzen uns damit in einen Doppeldeckerzug nach Alkmaar. Ich bin noch nie in so einem Ding gesessen und ehrlich, man fühlt sich wie auf einem Thron. Außerdem sieht man von oben herab alles viel besser. Sitzend, wie vor dem Fernseher, betrachten wir die Vororte von Amsterdam mit ihren typischen Häusern und ihren kleinen Vorgärten. Dann folgen wieder weite, bunte Felder,dazwischen die kleinen Grachten. Auf sattgrünen Wiesen vermischt sich die Tierwelt und es herrscht Friede zwischen den Kühen, Schafen, Ziegen und der Vogelwelt.
Uns gefällt dieses flache Land mit den vielen Windmühlen sehr gut und die Stimmung am Himmel trägt ihren Teil dazu bei. Der blaue Himmel ist bedeckt mit Schäfchenwolken. Was wir zu diesem Zeitpunkt nicht wissen ist, dass es draußen nicht so schön ist, wie es aussieht. Als wir nämlich in Alkmaar aus dem Zug aussteigen, weht uns eine kühle Brise entgegen. Also packen wir unsere Windjacken aus und schon kann es losgehen. Etwa zehn Minuten müssen wir marschieren, bis wir die Altstadt erreichen.
Alkmaar entstand im 11. Jahrhundert um eine Kirche und 1254 wurde der Siedlung das Stadtrecht verliehen. Das Erbe dieser ruhmreichen Vergangenheit kann noch immer in der gemütlichen Innenstadt bewundert werden. Die Ringgräben und Grachten mit ihren charakteristischen Zugbrücken, die zahlreichen Monumente, die stilvollen Höfe, die alten Fassaden und schmalen Einkaufsstraßen verleihen der Innenstadt eine ganz besondere Atmosphäre. Nicht umsonst ist Alkmaar eine der schönsten Einkaufsstädte der Niederlande!
Aber zum Einkaufen sind wir nicht hier! Wir möchten uns das Spektakel des Käsemarktes ansehen. Berühmt ist Alkmaar durch den seit abgehaltenen Alkmaarse Kaasmarkt. Dieser Markt wird zwischen Ostern und Herbst jeden Freitag gehalten. Das Schauspiel mit den in weiß gekleideten „Käseträgern zieht immer viele Schaulustige an. Im Jahre 1916 beispielsweise wurden ca. 300 Tonnen Käse pro Markttag verkauft. Bis heute hat sich die Tradition der Herstellung des Käses erheblich verändert, doch nicht das Interesse der Menschen. Jährlich besuchen ca. 300.000 Menschen den Käsemarkt. Er ist der einzige in den gesamten Niederlanden, der die alten Traditionen des Verkaufs noch beibehält. Ein Markttag ist in Alkmaar jedes Mal ein neues Großereignis. Morgens wird zuerst einmal der gesamte Marktplatz gründlich aufgeräumt und gesäubert. Anschließend werden bis zu 1.000 goldgelbe Gouda- und Edamerlaibe von so genannten „Setzern in lange Reihen über- und nebeneinander aufgeschichtet. Um Punkt 10.00Uhr ertönt dann die Glocke als Startsignal. Die Käseträger laufen, ausgestattet mit großen Tragebahren aus Holz, kreuz und quer über den Marktplatz. Seit dem Jahre gibt es in Alkmaar eine Käseträgergilde. Diese Gilde besteht aus vier Gruppen zu je sieben Trägern, welche an der unterschiedlichen Farbe der Hüte zu erkennen und unterscheiden sind. Über diesen vier Gruppen steht der Käsevater. In einer langen Prozedur ähnlich der Papstwahl wird dieser gewählt und wie der Papst hat auch der Käsevater sein Amt lebenslang inne; der Ebenholzstock mit Silber beschlagenem Knauf ist Zeichen seiner Würde. Als Oberhaupt der Käsegilde wacht er darüber, dass der berühmte Käsemarkt nach überliefertem Ritual abläuft. Die mit weißen Kitteln bekleideten Händler entnehmen dem Käse eine Probe. Dazu schieben sie eine hohle Stange in den Käselaib und ziehen sie wieder heraus. Dann schnüffeln sie kräftig daran und zerreiben den Käse, um Fettgehalt und Feuchtigkeit zu prüfen. Natürlich wird auch gekostet. Dann wird darauf geboten. Feilschen ist ein wichtiger Bestandteil des Kaufes, der immer per Handschlag besiegelt wird.
Jetzt kommen die Käseträger zum Zuge, 30 Männer im Ehrenamt. Sie tragen weiße Anzüge mit roten, grünen, blauen oder gelben Strohhüten. Paarweise schaffen sie den verkauften Käse auf ihren hölzernen Tragbahren ins Waaghaus maximal acht Laibe zu je zwölf Kilogramm. Ein hübsches Gewicht, das die Träger im Laufschritt bewältigen. Die Ware wird gewogen, der „Taschenmann“ mit seiner umgeschnallten Geldbörse kassiert das Geld. Der Käsevater hat alles im Blick. Als einziger trägt er einen orangefarbenen Strohhut. Er prüft in der Früh, ob die Gilde vollständig erschienen ist und stimmt die Träger auf ihre Arbeit ein. Wer zu spät kommt, flucht oder rauft, findet sich mit seinem Namen auf dem Schandbrett in der Gildenstube neben dem Waagraum angeprangert. Die fällige Strafe darf der Missetäter mit Bier begleichen.
All diese interessanten Informationen werden im Laufe des bunten Treibens in fünf Sprachen erklärt. Um das Spektakel nicht zu stören und das ist bei so vielen Touristen notwendig ist rund um das Geschehen ein Metallzaun aufgestellt. Wir haben es geschafft, uns bis in die zweite Reihe vorzukämpfen, aber es ist trotzdem schwer, alles zu erspähen. Schaut man dem Handel auf der linken Seite zu, versäumt man das Aufladen der Laibe auf die Pritschenwagen auf der anderen Seite. Aber wir haben ja Zeit und deshalb stehen wir uns mehr als zwei Stunden die Füße in den Bauch. Mit der Zeit werden die Touristen weniger und es ist leichter zu guten Bildern zu kommen, denn zu Beginn des Marktes herrschte eine schlimme Drängelei.
Zu Mittag setzen wir uns dann in ein angrenzendes Café, um ein wenig zu entspannen. Das Wetter meint es gut mit uns, denn die Sonne wärmt angenehm. Wir kommen mit einem älteren Pärchen aus Mallorca ins Gespräch. Angeregt unterhalten uns über die Menschen aus den verschiedenen Ländern. Da sie vor Jahren ein Lokal auf ihrer Insel hatten, kennen sie die Touristen und ihre Eigenheiten sehr gut. Zum Abschluss tauschen wir noch die Erfahrungen aus Holland aus und dann machen wir noch einen Rundgang im Kaas-Museum.
Viele alte Pressen, Kübel und andere Utensilien sind dort auf mehreren Etagen ausgestellt und alte Fotos zeigen, wie primitiv die Arbeit früher von statten ging. Auf verschiedenen Monitoren wird die Entstehung und Verarbeitung der Milch zu Käse dokumentiert, sowohl in früherer, als auch in heutiger Zeit. Eine kleine Käse-Kostprobe bekommen wir schon beim Eintritt.
Nach der Besichtigung schlendern wir weiter durch die Altstadt. Viele, kleine, pittoreske Geschäfte reihen sich in den schmalen Gassen aneinander. Es herrscht eine Stimmung, als wäre vor mehreren hundert Jahren die Zeit einfach stehen geblieben. Wir sind total verzaubert und um aus dem Traum nicht so schnell aufwachen zu müssen, nehmen wir im Restaurant „De Buren“ Platz und bestellen uns köstliche Sandwichs. Wir lauschen dem Geläute der Glocken und dem Geschreie der Möwen. Das ist Urlaub und den genießen wir wirklich in vollen Zügen.
Auch wenn es noch so gemütlich gewesen wäre, aber wir können nicht den ganzen Tag sitzen bleiben. Und so ziehen wir weiter in die Haupteinkaufsstraße. Das erweist sich als wahres Labyrinth, denn kaum verlassen wir eine Gasse, kommen wir in die nächste, von der wieder in jede Richtung eine weggeht. Es dauert nicht lange und wir haben uns total verfranst, aber verirren ist in dieser kleinen Stadt ja Gott sei Dank nicht so schlimm, denn irgendwo kommt man immer wieder heraus. Wir finden auch uns bekannte Geschäfte wie H&M, Pearle oder Swarovski und mischen uns einfach in das Getümmel. Quer über die Straßen sind Girlanden gespannt, wie zu Weihnachten. Die Hausfronten und Giebel wirken auf uns, als wären wir im Disneyland und wir warten darauf, dass jeden Momen t Micky Maus und Goofy auftauchen. Toll ist außerdem, dass der gesamte Kern Fußgängerzone ist und man „nur auf die Radfahrer aufpassen muss. Gemütlich setzen wir uns zum Abschluss noch in ein Café und genießen das beste Appelgeback met slagroom der Stadt. Der koffie ist ein bisschen bitter, aber sonst schmeckt alles wunderbar.
Am späten Nachmittag fahren wir mit dem Zug wieder die 50 Kilometer zurück nach Amsterdam. Dort angekommen freuen wir uns, weil wir nicht lange auf den Bus warten müssen. Da aber die Bushaltestelle von einem Reisebus blockiert ist, beschließt der Fahrer, dass er uns nicht mitnimmt und einfach weiterfährt. Unsere Freude ist schnell verflogen, als der Bus, der eine Viertelstunde später kommen sollte, gleich gar nicht kommt. Eine Stunde später haben wir es dann doch noch geschafft im Hotel anzukommen – müde, aber erfüllt mit vielen Eindrücken.