Der neue Tag bringt uns wunderschönes Wetter, aber bei 87% Luftfeuchtigkeit rinnt uns bei der kleinsten Bewegung die Suppe von der Stirn. Heute versorgen wir uns mit Brötchen und von der Hauswirtin selbsteingekochte Palmen-Bananen-Marmelade aus ihrem kleinen Laden. Wir fragen sie auch danach, um was für „wilde“ Tiere es sich handelt, die uns beinah jede Nacht besuchen. Die Gelb-Schnabel-Sturmtaucher nisten an den Klippen und Mama und Papa füttern ihr einziges Vogelbaby nur in der Abenddämmerung. Zum Überwintern fliegen die Zugvögel, die sich übrigens ein Leben lang treu bleiben, nach Afrika und Amerika.
Auch heute zieht es uns wieder in das Landesinnere, wo wir über den Ort Remédios die Serpentinen hochfahren. Bauern haben an den Straßenrändern ihre Stände aufgebaut und bieten Kartoffeln, Kraut und Melonen an. Kaum verlassen wir den Ort, zeigt sich wieder üppige Landschaft mit meterhohen Hortensienbüschen. Riesengroße Blüten bilden eine tiefblaue Hecke, oh wie ist das wunderschön hier. Kein Wunder, dass sich da die schwarz gefleckten Kühe auf den Weiden wohlfühlen.
Je höher wir den Berg hochklettern, umso mystischer wird es, denn Nebenschwaden hüllen die Landschaft um uns ein und verdecken wie Geister immer wieder die Sonne. Die Vegetation wird karger und niedriger. Gelbe, stachelige Fetthennen und rosa Baumheide wuchern auf den Abhängen.
Wir erreichen den Pico da Barossa, wo Sendemasten den Gipfel krönen. Von hier haben wir einen grandiosen Rundumblick auf den Lagoa do Fogo, den Feuersee und die bewaldete Umgebung. Das Wasser glitzert im Sonnenlicht und eine angenehme Brise weht uns um die Ohren. Wir genießen eine Zeitlang das schöne Panorama und setzen dann unsere Fahrt fort zum nächsten Miradouro. Auf der gut ausgebauten Höhenstraße erreichen wir schon nach wenigen Kurven den Parkplatz direkt beim Abstieg zum See. Zu unseren Füssen liegt friedlich der Kratersee, der nach einem Vulkanausbruch im Sommer 1563 entstanden ist. Lavamassen haben damals viele Orte verschluckt, die nie wieder aufgebaut wurden. Heute ist hier ein Naturschutzgebiet mit seltenen Tieren und Pflanzen. Die Abhänge sind dicht bewachsen und ein schmaler Treppelweg führt zum Ufer des Lagoas. Obwohl es am Strand schon von Menschen wimmelt, die baden oder spazieren gehen, belassen wir es dabei von hier oben die Landschaft zu betrachten. Schmetterlinge wirbeln in der Luft und Möwen fliegen kreischend über uns hinweg. In dieser Idylle reißt uns plötzlich ein junges Pärchen aus dem Betrachten, weil es direkt vor uns Steine herumschichtet. Was tun die beiden hier bloß? Ah, sie sind fündig geworden, ein Geocache! Nachdem sie ihre Daten eingetragen haben, die Steine zurücklegen und wegfahren, graben wir aus Neugier alles wieder aus. Wir haben aber leider keinen Stift dabei, um unsere Namen auch zu verewigen.
Innerhalb kurzer Zeit kommen immer mehr Autos, die bereits mehr als hundert Meter entlang der Straße parken. Viele Gruppen von Jugendlichen schleppen Kühlboxen, Sixpack Bier und Prosecco den Hang hinunter bis zum Strand um dort Party zu feiern. Wolfgang spielt für eine lustige Truppe noch den Fotografen und dann verlassen wir die Stätte und setzen unsere Fahrt fort.
An der Straße von Ribeira Grande tauchen wir immer wieder in Dampfwolken ein und es ist klar, das ist kein Nebel. Wir lesen in unserem Reiseführer nach und erfahren, dass hier geothermische Energiegewinnung vonstatten geht. Erdwärme wird in Elektrizität umgewandelt und das deckt hier auf der Insel São Miguel fast die Hälfte des Energiebedarfs.
Mitten in einer Waldlichtung erreichen wir den bereits überfüllten Parkplatz der Caldeira Velha. Also parken wir entlang der Straße und stapfen los zum Kiosk, wo wir die zwei Euro Eintritt berappen. Wie durch einen Regenwald spazieren wir ins Dickicht aus hohen Bäumen, Farnen und Moose. Das Grün wird unterbrochen von den orangen Blüten der Montbretien, lila Schmucklilien und gelben, wilden Ingwer. Der anfangs betonierte Weg mündet nun in einen Holzsteg und dann erreichen wir kleine Becken mit blubbernden Schlamm oder heißem Wasser. Auf einer Holztafel wird gewarnt, dass hier das Wasser 61°C hat. Die kleinen Blubberseen riechen nach Schwefel.
Über eine Holztreppe kommen wir zu den Naturschwimmbecken der Caldeira und leider können wir nicht wie die anderen hier ein wenig herumplantschen. Die Abschürfungen auf Knie und Hände sind noch zu frisch, da möchte ich keine Infektion riskieren. Daher schlendern wir ein wenig im Wald herum, setzen uns dann eine Weile auf eine Bank und beobachten das Rundherum. Von einem Wasserfall plätschert das eisenhaltige Wasser lauwarm in das Becken, das wildromantisch mit üppiger Vegetation umgeben ist. Es herrscht das reinste Urwaldfeeling hier.
Gegenüber dem Planschbecken gibt es ein kleines Infocenter, wo auf Tafeln anschaulich Geologie, Vegetation und Tiere gezeigt und erklärt werden. Auch Ausstellungsstücke präsentieren Steine und Pflanzen, wie zum Beispiel die hier reich vorhandene Zeder.
Gemütlich spazieren wir den Weg zum Parkplatz zurück und halten dabei noch einiges auf Fotos fest. Wir setzen unsere Fahrt fort Richtung Ribeira Grande, machen aber zuvor bei Lombadas noch einen kurzen Abstecher zum Salto do Cabrito. Ein wenig gruselig ist es schon, dass es ein Schild von Lombadas gibt, der Ort selbst existiert aber nicht mehr. Es sind nur noch Häuserruinen vorhanden und grüne Rohrleitungen. Eine etwas rumpelige Stichstraße führt zwei Kurven den Abhang hinunter. Wir lassen unser Auto beim Wasserkraftwerk stehen und gehen die paar Schritte bis zum Wasserfall. In zwei Stufen stürzt sich das Wasser herab in ein seichtes Becken. Auf Steinen sitzend lassen wir unsere Blicke herumschweifen, lauschen dem Plätschern des Wassers und dem Zwitschern der Vögel. Im Gebüsch am Ufer beobachten wir eine gelbgraue Gebirgsstelze und nicht weit daneben tummeln sich Stieglitze. Diese unruhigen Vögel lassen sich aber schwer bildlich festhalten und es bedarf vieler Aufnahmen, um ein brauchbares Foto zu bekommen.
Unser nächstes Ziel ist Ribeira Grande, die größte Stadt im Norden der Insel. Wir finden gleich auf Anhieb in einer Seitengasse vom Rathausplatz einen Parkplatz. Parkticket gezogen und dann können wir auch schon losmarschieren. Das Stadtgebiet wird durch den gleichnamigen Fluss geteilt, über den eine imposante Bogenbrücke führt. Zentrum der Altstadt ist eine Parkanlage, um die sich das Rathaus, das Theater und die Heiliggeistkirche gruppieren. Das weiße Rathaus mit dem Turm, dem Rundbogen und der Freitreppe dominiert den Platz. Im Inneren erzählen historische Azulejos im Ratssaal von der Stadtgeschichte und seiner Umgebung. Leider bleibt uns der Eintritt verwehrt, da eine Sitzung stattfindet. Im Park davor werkeln gerade Bagger und gestalten rund um die alten, riesigen Eisenholzbäume die Fläche neu.
Hunger macht sich breit und wir sind auf der Suche nach einem Restaurant oder einer Bar. Daher irren wir ein wenig in den Gassen herum und landen schließlich in der Cervejaria „Cascata“. Im Schatten der Bäume sitzen wir am Platz vor der Igreja Matriz de Nossa Senhora da Estrela. Über uns thront die Kirche, die über eine breite Freitreppe erreichbar ist. Aber dazu später. Bis wir unser Essen serviert bekommen, verköstigen wir uns mit einem Sagres Bier-Limetten-Radler. Da steht wirklich Radler auf der Flasche und das Gesöff schmeckt bestens. Die Kartoffel-Kohlsuppe können wir auch wärmstens weiterempfehlen.
Gestärkt begrüßen wir erst mal den Theologen Frutuoso, dessen Bronzefigur sich auf dem Platz befindet. Dann erklimmen wir die Stufen nach oben und von da haben wir einen schönen Blick hinunter auf den schwarzweiß gefliesten Platz, dessen Mitte ein Pavillon ziert.
Die dreischiffige Kirche aus dem 16. Jhdt. wird flankiert von einem schwarzen Glockenturm aus Basaltgestein. Wir betreten das Innere und muffiger Geruch strömt uns entgegen. Der geschnitzte Altarraum ist vergoldet, wirkt sehr überladen und in beinah jeder Seitennische begegnen wir der Senhora da Estrela, der Figur zumindest. Nach einem kurzen Rundgang verlassen wir daher die Kirche wieder und schlendern weiter durch die Gassen. Dabei kommen wir an einem Haus vorbei, wo der Bewohner sein Auto im Wohnzimmer stehen hat. Auf der Seite der Fahrertür befindet sich der Küchenblock mit der Kaffeemaschine und auf der anderen Seite stehen Sessel und vollgerammelte Schränke.
Im Nu landen wir wieder am zentralen Platz und diesmal widmen wir unsere Aufmerksamkeit der Igreja do Espirito Santo aus dem 17. Jhdt. Auffallend die wuchtige, aber tolle barocke Fassade. Sie besitzt zwei Eingänge nebeneinander und im Inneren auch zwei Kirchenschiffe, so als wären zwei Kirchen zusammengebaut. Linkerhand sind die Wände hellrosa gestrichen und rote Schals hängen seitlich an den Wänden und auf der anderen Seite dominiert die Farbe Türkis. Die Kirche gehörte einst zu einem Krankenhaus und erwähnenswert ist die Christusfigur, die bei einer Prozession durch die Stadt getragen wird.
Wir flanieren ein wenig im Park herum, der seitlich vom Rathaus weggeht. Auf Terrassen wurden verschiedene Bereiche mit Sitzgelegenheiten und Wasserfällen geschaffen. Die Blumen sind ein wenig vertrocknet, obwohl hier der Fluss durch das Gelände fließt. Jugendliche hängen in Gruppen herum und schlagen ihre Zeit tot.
Dann kommen wir zur Rua el Rey Dom Carlos, der Einkaufsstraße. Auf den ersten Blick wirkt alles sehr schön und renoviert mit den vorwiegend in Pastell angestrichenen Häusern. Einige davon haben eine tolle Fassade mit blau-weißen Fliesen. Quer über der Straße hängen große Blumenketten. Wir gucken nur von außen in die einzelnen Geschäfte rein, denn das gleicht einem Flohmarkt, wo nur Ramsch verkauft wird. Außerdem müffelt es überall raus. Einmal die Gasse rauf und wieder runter und im letzten Geschäft kaufen wir uns noch ein Eis. Dieser Tante-Emma-Laden erinnert mich an die Kindheit, wo wir auch in einem winzigen Einraum-Geschäft alles einkaufen konnten. Frauen unterhalten sich gemütlich und als Wolfgang bezahlt, strahlt ihn die Omi an, die an der Kassa sitzt. Mei, wie liab!
Wir erreichen wieder unseren Ausgangspunkt, wo am Eck sich das Theater von 1922 befindet. Mit EU-Geldern wird gerade renoviert – gut so, denn die gelbe Fassade bröckelt schon ordentlich ab.
Als wir zu unserem Auto zurückkommen, sind wir entsetzt, denn wir haben einen Strafzettel mit 7 Euro auf unserer Windschutzscheibe hängen. Was soll das, wir haben doch ein Ticket gelöst? Nur das ist jetzt weg. Vorweggenommen, wir finden das Ticket später zwischen unseren Sitzen, das dürfte uns der Wind beim Verlassen des Autos verblasen haben und wir haben das nicht mitbekommen. Jammern hilft jetzt auch nix, es ist zu spät. Na ja, sponsern wir halt die arme Insel ein wenig.
Wir verlassen Ribeira Grande und fahren weiter bis Porto Formoso, wo wir das Fischerstädtchen aus Zeitgründen aber links liegen lassen. Unser Ziel ist die Teeplantage Chá. Nach einem kurzen Film werden wir durch ein kleines Museum mit funktionstüchtigen, alten Maschinen geführt und anschaulich die Herstellung des Tees erklärt. Ursprünglich aus Brasilien als Zierpflanze eingeführt, wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jhdts. aufgrund des begünstigten Mikroklimas Tee angepflanzt. Es werden drei Sorten hergestellt, der Orange Pekoe (das ist das oberste Blatt), der Pekoe (gröbere Blätter) und der Broken Leaf (hier werden die Blätter gebrochen). Nach dem Pflücken lässt man die Blätter erst welken, danach gerollt, um die Zellwände aufzubrechen. An feuchtwarmer Luft oxidiert der Tee und die ätherischen Öle entfalten ihr Aroma. Dann werden die Blätter getrocknet und maschinell sortiert. Einst zählte man 62 Tee-Plantagen auf der Insel, nachdem die Orangenplantagen einem Pilzbefall zum Opfer fielen. Nach dem zweite Weltkrieg haben nur noch zwei Teegärten bis heute überlebt.
Im Anschluss an die Führung dürfen wir in einer hübschen Probierstube Broken-Leaf-Tee verkosten. Wir bestellen uns auch noch Orange Pekoe, der feiner und intensiver schmeckt. Wir sind begeistert von den unterschiedlichen Geschmäckern und kaufen uns für zuhause je ein Packerl.
Dann setzen wir unsere Fahrt entlang der Nordküste fort, bis zum Parque da Ribeira dos Caldeirões, der bei der Ortschaft Achada liegt. Aus einem grünen Dickicht aus Lorbeerbäumen, Farnen und Zedern stürzt sich ein Wasserfall in die Tiefe. Hier verweilen wir eine Zeitlang und beobachten die Vögel, die Mücken aus dem Wassernebel fangen. Ein Spaziergang im Park rundet unseren Kurzbesuch hier ab. Inmitten prächtiger Blumenbeete und Bäche ist noch eine alte Mühle in Betrieb.
Wir fahren zurück Richtung Salga und von dort wieder durch die Berge im Landesinneren über den Salto do Cavalo. Diese Strecke empfiehlt uns unser „Müller“- Reiseführer als landschaftlich sehr reizvoll und wir sind noch nicht weit gefahren, sind wir schon sehr verzückt. Das schöne Wetter und die Abendsonne lassen die vielen Grüntöne und die Blüten satt leuchten. Daher gleiten wir gemütlich die Straße entlang und können so auch die schnell über die Fahrbahn huschenden Hasen erblicken.
Fleißige Bauern sind rege mit Kühe melken beschäftigt. Mit mobilen Melkmaschinen wird die Milch in Tanks gepumpt, während die Kühe gefüttert werden.
Ein langer, aber ausgefüllter Tag geht zu Ende und wir freuen uns schon auf den morgigen.