Andere Insel, anderes Wetter … es hat 23, aber gefühlte 33 Grad, es ist schwül und Kopfschmerzen machen sich bemerkbar. Daher ist unser Enthusiasmus ein wenig gebremst und wir wissen erst nicht, was wir heute anstellen sollen.
Dann entscheiden wir uns für das kleine Fischerörtchen Sete Cidades an der Westküste. Die Fahrt führt durch eine wunderschöne Landschaft mit blumengesäumten Straßen. Lila Schmucklilien, blaue Hortensien oder gelbes Blumenrohr, um nur einige zu nennen, blühen in voller Pracht. Kleine Häuseransammlungen wechseln sich mit weiten Kuhweiden ab und während wir die Umgebung betrachten, erreichen wir auch schon den ersten Aussichtsplatz „Vista do Rei“. Er liegt direkt am Kraterrand, 550 m über dem Meeresspiegel und ist benannt, wie soll es anders sein, nach einem portugiesischen König. Von hier oben haben wir einen atemberaubenden Ausblick auf die Kraterseen Lagoa Verde und Lagoa Azul, die durch eine Brücke voneinander getrennt sind. Aufgrund der Reflexion des Waldes erscheint der eine See grün und im Wasser des anderen Sees spiegelt sich der blaue Himmel. Einer Legende nach trafen sich an der Brücke heimlich eine Prinzessin und ein Hirte. Als aber der König die Liebe der beiden zueinander verbot, weinten sie bitterlich. Die Tränen des Hirten mit den grünen Augen füllten so den einen See und die der Prinzessin, die blaue Augen hatte, den anderen. Sie sind sich nie wieder begegnet, die Seen aber sind geblieben. So eine traurige Geschichte hat so eine Schönheit hinterlassen.
Und genau dieser schöne Blick hat ein ausländisches Unternehmen veranlasst hier in den 80er Jahren das Fünf-Sterne-Hotel „Monte Palace“ zu errichten. Der hässliche Betonklotz, beherbergte einst mehr als 170 Betten und schon ein Jahr später wurde hier keine Bettwäsche mehr gewechselt. Konkurs musste angemeldet werden, da die zahlungskräftigen Gäste ausblieben. Jetzt wachsen Bäume auf den Balkonen und in der Hotelhalle liegt nur noch Schutt und Müll. Ein geisterhafter Spielplatz für Erwachsene ist geblieben und auch heute können wir einige Menschen sehen, wie sie in der Ruine auf Entdeckungsreise gehen. Aber das ist nix für uns, wir widmen unsere Zeit lieber der tollen Landschaft um uns herum. Das Wetter ist kitschig mit fast nahtlos blauem Himmel und Schäfchenwolken. Wir steigen wieder ins Auto und fahren einige Kurven weiter den Berg hinunter und halten beim nächsten Aussichtspunkt, dem Miradouro da Lagoa de Santiago. Die Abhänge sind bewachsen mit den orange blühenden Montbretien, die einen wunderschönen Kontrast zum vielen Grün rundherum bilden. Hier liegt uns tief im Kessel drin der grüne See zu Füßen, dessen Wasser im Sonnenlicht glitzert. Vogelgezwitscher rund um uns, oh mon dieu, ist das schön hier! Bevor wir dem See wieder den Rücken kehren, schießen wir noch schnell ein Selfie, um die Stimmung ein wenig einzufangen.
Dann fahren wir weiter die Serpentinen hinunter und in Null-Komma-Nix sind wir im Tal angekommen. Wir haben das Gefühl, als fahre man mitten durch´s Wasser, wo linkerhand der grüne und rechterhand der blaue See liegt. Wir erreichen das Bauerndorf Sete Cidades und hier stellen wir unser Auto ab, direkt neben dem Park bei der Igreja de Sao Nicolau. Darin befindet sich ein ovaler Brunnen, die Pyramiden im Beckeninneren symbolisieren die sieben Städte. Gefallen findet er bei uns aber nicht. Eine schnurgerade Baumallee, gesäumt von blauen Hortensien führt zum Portal der Gemeindekirche. Das kleine neogotische Kirchlein stammt aus Großmutter´s Zeiten aus dem Jahr 1857 und das spiegelt sich auch im Innenraum wieder. Einfache dunkelbraune Holzbänke, die nicht sonderbar gemütlich scheinen und ein steinerner Altartisch. Auf dem blauweißen Fliesenbild neben dem steinernen Taufbecken wird Johannes der Täufer dargestellt. Die kleinen Fensterscheiben werden verdeckt von hübschen Spitzengardinen, also wie schon erwähnt wie in Oma´s Wohnzimmer. Kein Wunder, dass sich da die ältere Dame geborgen fühlt, die andächtig auf einer Kirchenbank sitzt. Da denken wir, dass sie ein stilles Gebet hält – aber als wir an ihr vorbeigehen, sehen wir, dass sie am Handy Passion spielt. Vielleicht glaubt sie, dass ihr der Herrgott hilft zu gewinnen. Wir widmen uns wieder der Kirche, die mit prächtigen weißen Lilien und Margeriten und gelben Lilien und Rosen geschmückt ist. Beiderseits vom Altarkreuz hängen noch Fahnen von Pfingsten mit dem Slogan „… und entzünde in ihnen das Feuer unserer Liebe“.
Wir verlassen die Igreja und schlendern gemütlich zum Ufer des blauen Sees, wo Angler die Ruten im Wasser hängen lassen. Auf Holzpfählen sitzen Küstenseeschwalben und beobachten das Treiben rundherum. Ein Stück daneben erregt eine Omi die Aufmerksamkeit, denn sie schlägt mit einem antiken Werkzeug Gras ab. Portugiesisch Kenntnisse wären angebracht, dann hätten wir herausfinden können, wie das Ding heißt.
Lange halten wir uns aber hier nicht auf, denn wir möchten noch ein Stück wandern. Unsere Route führt uns vom Dorfzentrum hinaus, wo entlang der Straßen Hortensienhecken wachsen mit riesengroßen dicht aneinandergereihten Blüten in Blau, Lila und Rosa. Wir kommen am Casa Grande vorbei, einem alten Herrenhaus, das einst einem reichen Landadel gehörte, der als Politiker arbeitete. Weiter des Weges erreichen wir bald das Ufer des grünen Sees. Hier bevölkern viele Familien, Freunde, Touristen und Wanderer die Grünflächen. Im Wasser tummeln sich ungezählte fünfzig Enten mit ihren Jungen, die von Kinder gefüttert werden. Einige der Entenbabies sind ausgebüchst und jetzt müssen sie sich tummeln wieder zu Mama und Papa zurückzukommen, denn eine weiße Gans ist hinter ihnen her. Ma, wie gemein! Kreischend rudern sie tüchtig mit ihren Latschen im Wasser. Uff, geschafft.
Wir spazieren entlang des Uferweges, begleitet vom Gequake der Enten. Jauchegeruch liegt in der Luft und das Blättermeer des Mischwaldes rauscht im leichten Lüftchen. In den Ästen hüpfen Vögel herum und plötzlich entdecken wir eine Gebirgsstelze am Ufer des Wassers. Das ist ein hübscher Singvogel mit grauem Kopf und Rücken und einem strahlend gelben Bauch.
Unsere Freude wird leicht getrübt, als wir bemerken, dass hier der Weg zu Ende ist und nicht wie wir vermutet haben ein Weg durch den Wald nach oben führt. Daher kehrt marsch, alles wieder zurück.
Eineinhalb Stunden später sind wir wieder bei den Enten angekommen. Hier orientieren wir uns zuerst, bevor wir wieder losstapfen. Diesmal geht es den Waldweg hoch und nach wenigen Höhenmetern verfranzen wir uns und im Nu stehen wir mitten am Campingplatz. Der würde uns aber auch gefallen, wenn wir mit Zelt oder Camper unterwegs wären.
So weiter geht´s und diesmal in die richtige Richtung. Wir passieren einige Bauernhöfe, vorbei an einer Kuhtränke und jetzt wissen wir, dass wir laut Reiseführer richtig sind. Linkerhand ist eine schön befestigte Levada (Wasserrinne), die gerade kein Wasser führt. Oder Gott sei Dank, denn Regen brauchen wir keinen. Schon nach wenigen Metern steigt der Weg steil bergan und wird immer ruppiger. Wir müssen großen Löchern und Ausschwemmungen ausweichen und stellenweise wird das echt mörderisch. Da müssen ordentliche Wassermengen den Berg heruntergekommen sein, die Steine und Holz mitgeschwemmt haben. Fragt sich nur, wie hier auf dieser wild ausgewaschenen Forststraße ein Traktor fahren kann? Da die Berghänge mit Gebüsch überwachsen sind, finden wir Schatten darunter, sodass wir immer wieder (immer öfter) Rast machen, um auszudünsten. Wir begegnen einem jungen Pärchen, das von oben kommt und ihr Gruß „good luck“ gibt uns schon ein wenig zu denken. Aber was hilft´s, wir müssen weiter. Unsere Pumpe kommt auf eine sehr hohe Schlagzahl und wir schnaufen wie alte Dampfrösser den Berg hoch. Mittlerweile sind wir schon so hoch oben, dass sich jeder Ausblick hinunter lohnt. Zuerst kommt der blaue See ins Blickfeld und nach weiterer Anstrengung auch der grüne. Jetzt wird auch der grün bewachsene Vulkankessel schön sichtbar. Um wieder zu Atem zu kommen genießen wir eine Zeitlang die schöne Landschaft. Eigentlich sind wir ja froh, dass wir diese Geröllpiste nicht hinuntermüssen und es ist für uns auch schwer vorstellbar, wie es der jungen Dame mit ihren Sandalen geht, der wir zuerst begegnet sind. Vor allem kommen wir ständig zu Stellen, wo wir das Bedürfnis haben, auf allen Vieren den Berg hochzuklettern. Die Hitze steigt uns bis ins Hirn und unsere Leiberl sind komplett durchgeschwitzt. Wir sind nicht wirklich die großen Wanderer und Kondition ist leider auch nur wenig vorhanden. Aber der Wille zählt und gutes Wetter und eine schöne Landschaft motivieren uns immer wieder, auch mal solche Gewalttouren zu machen. Deshalb übermannt uns danach immer der Stolz, etwas Gutes für uns getan zu haben.
Knapp zwei Stunden, nachdem wir vom Campingplatz weggegangen sind, erreichen wir die Aussichtsplattform Vista do Rei und hier herrscht regelrechter Almauftrieb. Der Parkplatz ist gerammelt voll mit Autos und überall wuseln die Touristen herum. Souvenirstände mit Krims-Krams und Schmuck und ein Hotdog-Stand buhlen um die Gunst der Leute. Da wir jetzt Flüssigkeit und Salze dringend notwendig haben, gönnen wir uns Wasser und Chips. Neidvoll werden wir von einer Horde Vögel beobachtet. Um einige Fotos einzufangen von den schönen Azorengimpeln, auch São-Miguel-Gimpel genannt, fällt hin und wieder ein kleines Stück zu Boden. Normalerweise ernähren sie sich von Wildkräutern und reifen Samen, aber wenn´s serviert wird?
Wir gönnen uns eine halbe Stunde Rast, dann nehmen wir den zweiten Teil der Wanderung in Angriff Richtung Sendemasten und von dort wieder zurück nach Sete Cidades und zu unserem Auto. Der Weg ist beidseitig bewachsen mit blauen Hortensien, beinah so blau wie der Himmel. Dazwischen erhaschen wir atemberaubende Blicke auf die Seen und auf weite Kuhweiden. Wäre ich eine Kuh, würde ich nicht mit anderen tauschen wollen bei diesem Paradies hier. Kaum ausgesprochen, nehme ich diese Aussage auch gleich wieder zurück. Am Parkplatz vorne ist uns das Plakat der Azoren-Rallye schon aufgefallen, was wir aber nicht geschnallt haben ist, dass die Autos genau auf dieser Piste fahren. Und weil es natürlich Wahnsinnige gibt, die sich als Rallyefahrer mit ihrem Auto beweisen müssen, hetzen sie auf dem staubigen Weg hier durch die engen Kurven. So müssen wir immer wieder zur Seite springen und danach noch lange die Staubwolke einatmen. Vielen Dank!
Trotzdem ist dieser Höhenwanderweg entlang des Grates der Caldeira wunderschön mit unvergesslichen Ausblicken, zumal das Wetter heute auch traumhaft ist. Der Fotoapparat klickt heiß und wir kommen nur langsam vorwärts, weil sich ständig neue Motive bieten. Irgendwann werden dann die Füße schwer und wir spüren unsere Beine nicht mehr. An der Kreuzung angekommen, wo die Straße vorbeigeht, setzen wir uns in die Wiese und legen eine Rast ein. Etwa eine halbe Stunde Fußmarsch hätten wir noch vor uns, da treffen wir das deutsche Paar wieder, das uns schon mal begegnet ist. Die beiden haben aber umgedreht und sind jetzt auf dem Weg zurück in ihre Unterkunft. Sie fragen uns, wo wir hin müssen und bieten sich dann an, uns zu unserem Auto zu bringen. Das nehmen wir dankend an, nachdem wir schon eine Staublunge haben, unsere Zähne knirschen, die Nase juckt und die Brillen zugestaubt sind.
Wohlbehalten angekommen in Sete Cidades stapfen wir in eine Snack Bar, um noch einen Kaffee zu trinken und als Belohnung gibt´s ein Eis obendrauf. Wir werden von den Einheimischen rundherum beäugt, während sie ihr Bier trinken und zwischendurch auf den Fernseher klotzen.
Auf der Rückfahrt zum Appartement fahren wir nochmal zum Flughafen zum Autovermieter und reklamieren die aufleuchtenden Werkstatt-Symbole und die defekte Klimaanlage. Ist alles kein Problem laut dem Agenten, doch wir intervenieren weiter und als es ihm dann doch zu blöd wird, tauscht er uns das Auto aus. Jetzt fahren wir einen „Renate-blauen“ Nissan-Micra mit 82.000 Kilometer. Auch nicht viel besser, mal schaun, wie´s uns geht damit.