Ja, wir mussten mit Ohrstöpsel schlafen, denn bis Mitternacht war nicht an Ruhe zu denken. Trotzdem stehen wir heute um dreiviertel 09:00 Uhr wieder an der Metrostation und fahren wieder zum Bahnhof. Dort patrouilliert das Bundesheer mit angelegten Waffen, aber das kennen wir ja schon. Wolfgang besorgt am Automaten ruck-zuck die Tickets und Punkt 09:01 Uhr sitzen wir im Zug Richtung Antwerpen.

Nach knapp einer Stunde kommen wir an der Central Station im Stockwerk 2 an, wo es sehr dunkel und gruselig ist. Nachts möchten wir hier nicht ankommen, da ist es echt zum Fürchten. Aber wir sind ja heute zu dritt. Mit dem Lift fahren wir die Stockwerke höher und befinden uns in einer anderen Welt. Ein wunderschöner Bahnhof lädt zum Flanieren und Verweilen ein und wir nehmen uns auch die Zeit, alles zu betrachten und zu bestaunen. Die Bahnsteighalle ist überdacht mit einer 75 Meter hohen Kuppel aus rot gestrichenen Metallstreben und Glasflächen. Der 1905 eingeweihte Bahnhof wird deswegen auch liebevoll Eisenbahnkathedrale genannt. Eine wahre Pracht ist auch die steinerne Bahnhofshalle mit den schönen Rosetten und Verzierungen im Fin-de-Siècle-Stil. Eine Augenweide ist die Front mit der alten Bahnhofsuhr und den Fenstern, wo der blaue Himmel durchkommt. Auch bei der amerikanischen Newsweek fand der Bahnhof großen Gefallen, die ihn 2009 zum viertschönsten der Welt kürte. Seit 1975 steht er unter Denkmalschutz und mit der Modernisierung begonnen. Die unterirdischen Gleistunnel wurden im Zuge von Renovierungsarbeiten errichtet und so können heute Hochgeschwindigkeitszüge Antwerpen passieren.

Der Bahnhof Antwerpens

Auch von außen macht das monumentale Gebäude eine gute Figur und wir genießen den Anblick auf dem Platz davor. Im Boden sind Gullis eingelassen, die in Abständen Wasserfontänen hervorbringen. Die Tauben und die kleinen Kinder haben ihre Freude daran.

Bei Kaufen der Tickets für die Metro zaubert es uns ein Lächeln ist Gesicht, denn hier erhält man „Wisselgeld“ (Wechselgeld) zurück. Wir besteigen die Metro und verlassen sie an der Station Groenplaats, wo wir vom flämischen Maler Petro Paulo Rubens begrüßt werden. Mit diesem Denkmal honoriert die Stadt ihren wichtigsten Bewohner, der 1640 in Antwerpen 63-jährig gestorben ist. Wir stapfen auf ihn zu, da werden wir von einer Gruppe Asiaten angesprochen und Wolfgang macht von jedem ein Foto mit Rubens und der Liebfrauenkirche, die im Hintergrund zu sehen ist.

Liebfrauenkirche in Antwerpen – im Vordergrund die Statue von Peter Paul Rubes

Wir schlendern durch hübsche kopfsteingepflasterte Gassen mit versteckten, kleinen Plätzen, wo lauschige Bänke unter Laubbäumen stehen. Kletterpflanzen, wie zum Beispiel eine schöne, blaue Passionsblume wachsen quer über die Straße von einem Balkon auf den anderen. Immer wieder stoßen wir auf Hinweisschilder, wie „Te Huur“ oder „Verkocht“. Da klingt unser „Zu vermieten“ und „Verkauft“ recht nüchtern dagegen. Ist schon eine lustige Sprache!

Wie Brüssel ist auch Antwerpen bekannt für seine Comics auf den Häuserfassaden und dem ersten begegnen wir auf dem Eiermarkt, dem Wandbild Passage“ von Jan Van Der Veken. Es zeigt Menschen von verschiedenen Kontinenten mit übergroßer Pflanze in der Hand.

Wandbild Passage von Jan Van Der Veken

Das nächste Bild finden wir in der Korte Nieuwstraat 33, wo Dick Matena die Figur „Laarmans“ mit der Einkaufstasche voller Käsebällchen zeigt, der über den großen Markt mit dem Rathaus und den Brabobrunnen von Antwerpen marschiert. Wir machen einen Umweg in die Wolstraat zum Comic von Jan Bosschaert mit dem Titel „Gewissen“. Der Schriftsteller Hendrik Conscience bringt seinen Leuten das Lesen bei und blickt sitzend auf einem Brunnen hinunter ins Becken, das gefüllt ist mit Büchern und Comics.

Vor uns tut sich die Onze-Lieve-Vrouwekathedraal auf, deren 123 Meter hohe Nordturm in filigraner „Spitzenarbeit“ aus Stein seit 1999 zum Weltkulturerbe der UNESCO gehört. Der Vierungsturm daneben wurde nie fertiggestellt. Die siebenschiffige Liebfrauenkathedrale ist regelrecht eingewachsen ins Stadtbild und ist entstanden aus einer Marienkapelle aus dem 10. Jhdt. Aufgrund mehrerer Zerstörungen und Umbaut zeigt sie heute nach einer Bauzeit von 170 Jahren verschiedene Baustile. In der Französischen Revolution musste die Kathedrale als Viehstall herhalten und wurde im Zuge der Säkularisierung zerstört und geplündert. Die Schmuckfläche im Giebeldreieck des Hauptportals entstand 1903 und zeigt Christus als Weltenrichter. Darunter ist der Erzengel Michael dargestellt mit der Seelenwaage. Auf seiner rechten Seite werden die Verdammten vom Teufel empfangen und linkerhand gehen die Gerechten in den Himmel ein. Wir treten durchs Tor ein und als wir die Tickets kaufen möchten, stellen wir fest, dass die Kreditkarte weg ist. Nach dem Durchstöbern unseres Rucksacks überlegen wir, wann wir sie zuletzt benutzt haben. Das war am Ticketschalter für die Metro, da dürften wir sie stecken gelassen haben. Die Telefonate dauern eine Zeitlang, bis die Karte gesperrt ist, doch dann widmen wir uns der Besichtigung. Der Innenraum ist aufgrund einer kompletten Sanierung von 1965 – 2015 sehr hell und Teile von alten Fresken an Wänden und Decke wurden freigelegt. Imposante Buntglasfenster lassen viel Licht von draußen herein und stellen Prozessionen und Versammlungen dar. Gigantische Säulen tragen das Kreuzrippengewölbe und öffnen die Schiffe hoch hinauf. An den Pfeilern hatten früher die Zünfte der Handwerker ihren eigenen Altar, heute hängen dort Gemälde flämischer Meister aus dem 16. und 17. Jhdt. Der Künstler Jan Fabre möchte mit der Bronzeskulptur eines Mannes, der ein Kreuz auf seiner Handfläche balanciert, jedem Besucher einen Spiegel vorhalten, um sich mit seinem Glauben auseinanderzusetzen. Antonia steht da, betrachtet die Skulptur, da wird sie von einer Omi angesprochen, die sich dann mit ihr angeregt unterhält.

Innenbereich der Kathedrale

Im Mittelschiff befindet sich eine beeindruckende Eichenkanzel, übersät mit Pflanzen und Vögel, die die Schöpfung symbolisieren. Ein Highlight der Kathedrale sind die vier Gemälde von Peter Paul Rubens, „Die Kreuzaufrichtung“, „Maria Himmelfahrt“, „Die Auferstehung Christi“ und „Die Kreuzabnahme“. Das Bild mit der Madonnenfigur, das den Jesusknaben auf ihrem Arm hält findet aber auch unseren Gefallen. Was uns taugt ist, dass auch hier die einzelnen Einrichtungsgegenstände und Schaustücke mit Infotafeln versehen sind und das in vier Sprachen. Wir schlendern weiter und kommen zum Chorgestühl, das reich mit Figuren geschmückt ist. Wir würden Stunden dafür benötigen, um die vielen Szenen und Gestalten genauer zu betrachten. Kurz vor dem Ausgang faszinieren uns noch die Reste der mittelalterlichen Malereien und Schriftzüge, unter anderem „Anno“ und „Maria“. Die Kalkschichten, die die Bemalung überdecken werden mit einem Skalpell vorsichtig abgetragen.

Vom 18. Mai 2018 bis 13. Januar 2019 erhalten die Werke von Rubens Gesellschaft vom belgischen Künstler Koen Theys. Mit dem Titel „Diasporalia“ macht er auf die Flüchtlingsproblematik aufmerksam oder Menschen, die ihre Heimat verlassen haben und in die Fremde gegangen sind. Er erzählt auf zwölf Matratzen aus Bronze darauf platziert persönliche Dinge, die Geschichten darstellen bei denen der Mensch auf der Suche nach Identität und dem Sinn des Lebens ist. Dabei hat er sich auf die Farben Weiß, Gold und Hellblau in Metalloptik beschränkt.

Nello und Patrasche

Tief beeindruckt verlassen wir die Liebfrauenkirche und widmen uns noch kurz dem kleinen Jungen Nello und seinem Hunde Patrasche. Auf dem Handschoenmarkt vor der Kirche wurde ein Standbild, besser ein Liegendbild errichtet, wo die Würfelsteine des Straßenpflasters wie eine Decke den Waisenjungen und seinen Hund zudecken. Sie sind die Hauptfiguren des Romans „A dog of Flanders“ aus dem Jahr 1872. Nello schließt Freundschaft mit dem Straßenköter und gemeinsam ziehen sie durch die Stadt und bewundern in der Kathedrale die Rubensbilder. Beide sterben eines Tages vor einem Gemälde an Hunger und Entbehrungen.

Nur wenige Schritte von der Kathedrale entfernt finden wir am Oude Koornmarkt 21 im RestaurantXaverius einen netten Platz im Freien. Wir bestellen einheitlich das Menü bestehend aus Rinder-Carpaccio, Beefsteak und Crème brûlée. Wir probieren wieder einheimisches Bier, für Wolfgang gibt’s Seef Bier, ein Bier aus dem 19. Jhdt. und für mich Nello´s Blond & Patrasche, ein Dorstlesser aus der Provinz Antwerpen. Während wir gemütlich sitzen und essen, haben wir einen tollen Blick auf die Häuser gegenüber, wo sich in den großen Fensterscheiben die Liebfrauenkirche spiegelt. Das Essen schmeckt traumhaft gut und wir werden stressfrei bedient, das kostet uns aber fast zwei Stunden unserer Zeit hier in Antwerpen.

Gestärkt und ausgeruht spazieren wie die Straße weiter und kommen zum Grote Markt, dem zentralen Platz der Stadt. Der dreieckige Marktplatz ist umgeben von historischen Gildenhäusern aus dem 16. und 17. Jhdt. und dem Stadhuis. Das Rathaus stammt aus dem Jahr 1560 und steht auf der UNESCO-Liste. Was sonst ein Hingucker wäre, das sind die 87 Flaggen aus den EU-Ländern, die die Fassade schmücken. Nur zurzeit ist davon nix zu sehen, denn das Gebäude ist aufgrund von Renovierungsarbeiten in ein Verhüterli verpackt. Egal, wir finden auch Gefallen an den schönen Renaissance-Häusern mit den hübschen Giebeln. Auf deren Spitzen befinden sich vergoldete Figuren und Tiere, die in der Sonne leuchten. Im Zentrum des Platzes befindet sich vor dem Rathaus der Brabobrunnen mit der Bronzestatue des Helden Silvius Brabo. Er hält die abgehakte Hand des Riesen Antigoon in der Hand, der Wegzoll von den Schiffen verlangte, die die Stadt auf dem Fluss Schelde passieren wollten. Wer nicht bezahlen konnte, dem wurde vom Riesen seine Hand abgehackt und in den Fluss geworfen. Brabo besiegte den Riesen, indem er gleiches mit gleichen vergalt. Fleißige Heinzelmännchen sind mit ihren Kehrmaschinen unterwegs und reinigen den Platz von Unrat.

Am Großen Markt von Antwerpen
Stadtburg Het Steen

Nur wenige hundert Meter vom Großen Markt kommen wir zum Hafen. Auf dem Wasser tuckern Transportschiffe und die Befestigungsbohlen am Ufer werden von Möwen und Vögel bevölkert. Dort schlendern wir am Kai entlang und am Ufer der Schelde liegt die Stadtburg Het Steen. Sie ist das älteste Gebäude der Stadt und war Teil der Stadtbefestigung. Die Farbunterschiede der Fassade lassen erahnen, dass die Burg im Laufe der Jahrhunderte mehrere Male umgebaut wurde. Die ersten „Steine“ stammen aus dem 11. Jhdt. Het Steen erfüllte die verschiedensten Zwecke, von Gefängnis, über Wohnhaus, Lager bis zu einem Museum. Sie ist bis 2020 aufgrund einer Renovierung nicht zu besichtigen. Wir gucken durch den Zaun und betrachten die Türme, Wappen und Figuren auf der Außenmauer. Auf einem Podest vor dem Eingang steht der riesige, bronzene „Lange Wapper“, ein Wassergeist, zu seinen Füssen stehen zwei kleine betrunkene Burschen.

Langer Wapper

Wir drehen um und schlendern über den Steenplein das Ufer der Schelde entlang. Nach dem Ersten Weltkrieg entstanden hier Hochhäuser und um diese erreichbar zu machen, entstand in den 1930er Jahren der Sint-Annatunnel. Schwere Beschädigungen durch deutsche Truppen im Zweiten Weltkrieg wurden wieder beseitigt. Von außen schaut der Zugang unspektakulär aus und nach dem Durchqueren der Eingangstür kommt uns modriger Geruch entgegen. Zwei hölzerne Rolltreppen führen 31 Meter unter die Oberfläche. Während es langsam nach unten geht, klappern und surren die Treppen, wow, ist das super. Wir befinden uns wie in einer Zeitreise in die Vergangenheit. Unten angekommen öffnet sich eine 4,3 Meter breite, schnurgerade, weiß geflieste Röhre mit einer Länge von 572 Metern. Der Tunnel darf neben den Fußgängern auch von Radfahrern benutzt werden, für den Transport hinunter gibt es einen Lastenaufzug. Der Sankt-Annatunnel ist denkmalgeschützt und der Großteil des Gebäudes ist noch im Originalzustand. Einfach super, erinnert uns ein wenig an den Elb-Kanal in Hamburg.

Wieder zurück an der Oberfläche stapfen wir jetzt wieder zurück Richtung Zentrum und egal, in welche Gasse wir gehen, überall gibt es Geschäfte, Cafés und Bars. Fleißig wird gebaut, renoviert und geputzt.

Im Internet suchen wir uns noch den Plan raus, wo sich noch Comic-Strips an den Hausfassaden befinden und daher wählen wir die Straßen so, dass wir uns noch einige davon ansehen können. Auf dem Bild „Bunte Parade“ von Brecht Evens in der Straße Oever gibt es viel zu schaun. In intensiven Farben hat er ein quirliges Stadtleben auf die Hauswand gezaubert.

Wir schlängeln uns die Straßen hin und her und kommen zur Meir Shopping Street. Na da ist vielleicht die Hölle los. Auch in das ein oder andere Geschäft gehen wir mal rein und stöbern ein wenig. Beim Australien Home Made Ice Cream nehmen wir uns eine Tüte Eis mit auf den Spaziergang und weiter geht´s ins Universitätsviertel. In der Korte Riddersstraat treffen wir auf den nächsten Comic „Suske und Wiske“ von Willy Vandersteen. Der Junge Suske und das Mädchen Wiske schweben auf einem Geist des Nachts aus einer Burg. Am Frans Halsplein entdecken wir den Blondschopf „Jommeke“ von Jef Nys. In der Paradiejsstraat fetzt der kleine „Kiekeboe“ von Merho mit den Skatern durch die Straßen. Auf den Mauern der Universität in der Keizerstraat dreht sich alles um Bücher und das Mädchen „Cordelia“ mit rotem Pullover und schwarz-weißer Hose, gemalt vom Cartoonisten Ilah.

Suske und Wiske
Cordelia

Wir spüren nicht nur die Füße, sondern auch die trockenen Augen, denn der ständige Wind hat sie uns ausgetrocknet. Auch die 26 Grad haben wir dadurch nicht als so heiß empfunden.

So, genug für heute, es ist halb sechs und es herrscht Rush-Hour, die U-Bahnen sind gestopft voll, aber was hilft´s, wir müssen und möchten auch mit. Im Trubel der Hektik fahren wir dann auch noch in die falsche Richtung. Wir steigen aber an der nächsten Station wieder um und schaffen noch den Zug um 17:38 Uhr zurück nach Brüssel. Als wir dann in die Metro umsteigen wollen, rennt Wolfgang voraus, hüpft in die nächste Bahn und weg ist er. So schnell können wir Mädels gar nicht laufen, sind die Türen der Metro schon zu und wir stehen da und schaun blöd drein. Na ja, warten wir halt, bis er uns wieder abholt. Die Zeit vergeht, wir sitzen da und er kommt nicht mehr. So ein Gauner, lässt er uns in der großen Stadt einfach allein. Dann scheppert das Telefon, Wolfgang hat auch gewartet, dass wir mit der nächsten Metro kommen. Antonia und ich werden zu Schwarzfahrern, denn die Tickets hat Wolfgang eingesteckt. Wohlbehalten treffen wir dann in der Station De Brouckère wieder aufeinander, schlendern zum Hotel und lassen den Tag gemütlich ausklingen.

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