Die Gemeinde BETSCHDORF begrüßt ihre Besucher an der Einfahrt mit einem überdimensional großen Keramikkrug. Sie hat sich einen Namen mit der einheimischen Töpferei von Salzbrandtöpferwaren gemacht. In die Öffnungen des Brennofens wird Kochsalz eingebracht, das bei höchster Brenntemperatur verdampft und hinterlässt auf den Töpfen eine charakteristische Oberfläche.
Wir freuen uns auf den Töpfermarkt, der laut unserem Reiseführer dieses Wochenende hier stattfinden soll. „Soll“ wohl gemerkt – denn wir schlendern alle Gassen ab, aber reges Treiben finden wir nirgends. Auch unsere Fragen danach bei den Einheimischen werden nur mit einem Schulterzucken beantwortet. Schade, muss sich wohl um einen Druckfehler handeln. Alles wirkt verschlafen und ruhig. Die Läden und Werkstätten sind verschlossen und kaum eine Menschenseele ist unterwegs. Deshalb gehen wir zum Auto zurück und setzen unsere Reise fort.
Im Süden des Ortes statten wir der Vogelvolière einen kurzen Besuch ab, wo teilweise frei lebende Störche untergebracht sind. Der Cigone ist das Wappentier des Elsass geworden, nachdem er dort bald ausgestorben wäre. Dank vieler Initiativen leben heute viele Paare hier, von denen inzwischen mehr als die Hälfte auch das ganze Jahr über da bleiben. Heute begegnet man dem Storchen überall, sei es aus Holz, Plastik oder Plüsch. Er steht in Gärten, auf Fensterbänken und auch auf dem Kopf als Hut.
Gemütlich kurven wir nach den Anweisungen unseres Navis weiter, quer durch die Landschaft des Nordelsass. So manche enge und ausgefahrene Straße wird dabei zu einer Herausforderung mit unserem Gefährt, wenn wir einem Traktor begegnen. Inmitten der schönen Landschaft durchfahren wir kleine Fachwerkdörfer und kreuzen dabei auch immer wieder die Ligne Maginot. Bittere Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg, wo große Gebiete verwüstet wurden und viele Tote zu beklagt wurden, waren der Anlass, eine Verteidigungslinie zu schaffen. An der elsässisch-deutschen Grenze wurde eine Linie aus unterirdischen Forts, Artilleriewerke und Beobachtungsbunker, dazwischen Minenfelder und Panzersperren angelegt. Heute sind noch viele dieser Anlagen zu sehen und einige auch zu besichtigen. Zweckentfremdet nutzen Bauern sie als Lagerräume oder zur Pilzzucht.
Wir haben uns der deutschen Grenze wieder bis auf 200 Meter genähert, denn hier thront mitten im Wald auf einer schmalen Anhöhe die Ruine der mittelalterlichen Felsenburg FLECKENSTEIN. Sie war im Besitz des wohlhabenden Adelsgeschlechts der Fleckensteiner und stammt aus dem 12. Jhdt. Im Jahre 1680 wurde sie während des Krieges fast vollständig zerstört. Ab dieser Zeit verwahrloste die Anlage, bis die Ruine 1898 unter Denkmalsschutz gestellt wurde.
Vom großen Parkplatz wandern wir eine knappe halbe Stunde durch den Mischwald zur Ruine hoch und obwohl nur noch Mauerreste vorhanden sind, wirkt das Ensemble sehr bombastisch auf uns. Wir betreten das Burggelände über eine Hängebrücke durch das gut erhaltene Haupttor. Das Erkunden der noch erhaltenen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden, Bergfried und Türmen macht nicht nur uns Erwachsenen einen Heidenspaß. Ritter Willie von Fleckenstein begleitet Groß und Klein mit vielen Aufgaben, Spielen und Rätseln durch das Mittelalter und die Geheimnisse der Burg. Anhand lustiger Zeichnungen wird der Besucher informiert, ob er sich im Schlaf- oder Badezimmer, in den Gesinderäumen oder sich gar im Gefängnis befindet.
Wir steigen die fünfzig engen, ausgetretenen Treppen im finsteren Wachturm hoch und werden belohnt mit einem grandiosen Rundumblick in das Tal der Sauer und den umliegenden bewaldeten Nordvogesen. Die Mauerreste sind bewachsen mit der jetzt blühenden Heide. Wir genießen die Aussicht während uns ein laues Lüftchen umspült. Kleine Echsen wärmen sich in der Sonne und Schmetterlinge lassen sich im Wind treiben.
Es ist immer wieder beeindruckend, wie der Mensch zur damaligen Zeit imstande war, mit Hammer und Meißel solch Werke in den Stein zu hauen. Wir klettern über die Mauerreste zur Mittelburg und gelangen danach in den Brunnenturm. In einem engen, düsteren Raum mussten damals Bedienstete wie Hamster das hölzerne Tretrad bewegen. Die Menschen wurden zu diesen Zeiten gequält und gefoltert, als wären sie ein Stück Vieh. Während der Besichtigung werden wir immer wieder „Zeugen“ vom barbarischen Verhalten der feinen Gesellschaft und daher ist es wirklich passend, als sich zwei Knirpse neben uns darüber unterhalten. „Da oben war´s echt brutal, oh mein Gott, ich glaub ich muss kotzen“. Und jetzt muss man sich noch vorstellen, wie brutal es da wirklich zugegangen ist, wenn alleine die Ruinen und Relikte schon diesen Eindruck hinterlassen.
In einer in den Felsen eingegrabenen Kaverne ist ein Museum untergebracht, wo Modelle ausgestellt sind, wie sich die Burg nach vielen Umbauten in den Jahren 1300, 1570 und 2002 so entwickelt hat. Hier sind einige Fundstücke, wie historische Gerätschaften, Waffen, Keramiken und Bilder ausgestellt.
So – Stunden später, wir sind wieder am Eingang angelangt voller Eindrücke und Impressionen. Jetzt haben wir uns noch eine Stärkung verdient. Im Café genehmigen wir uns noch Kaffee und leckere Tarte Fromage und genießen dabei die warme Abendsonne.
Nach dem vielen Grau der Steine tut das Farbenmeer des Mischwaldes in den Augen gut. Wunderschön auch das ausgebreitete rosa Blütenmeer des Springkrauts. Dabei ist der Wuchs dieser zwei Meter hohen Pflanze schon sehr invasiv, denn sie überdeckt in kürzester Zeit andere Pflanzen. Auf kleinsten Druck schleudern die reifen Kapselfrüchte ihre Samen wie Gewehrkugeln heraus, daher auch der Name Springkraut, oder wie im umgangssprachlichen Gebrauch Rühr-mich-nicht-an.
Über Lembach fahren wir in das geschichtsträchtige Städtchen WISSEMBOURG, das malerisch am Fluss Lauter liegt. Gegenüber dem Freibad parken wir unser Auto, packen unseren Rucksack und schlendern gemütlich Richtung Altstadt. Es macht den Anschein, als würde das Flüsschen die Straße teilen, denn auf beiden Seiten dasselbe Bild. Die Häuserzeile mit ihren hübschen Fachwerkbauten mit dem prächtigen Blumenschmuck. Kleine Brückerl überspannen den Kanal, sodass wir immer wieder auf die andere Straßenseite wechseln können. Dieses Viertel erinnert uns wirklich ein wenig an Amsterdam. Hier sind viele spätmittelalterliche Häuser zu finden, wie das Maison l´ami Fritz, das Vogelbergerhaus, das alte Gasthaus Zur Krone oder das Salzhaus von 1448, mit dem windschiefen roten Schindeldach. Ursprünglich als Krankenhaus erbaut, lagerte man später unter den winzigen Dachluken Salzvorräte und diente danach als Schlachthaus.
Schon nach kurzer Zeit hat uns Wissembourg in ihren Bann gezogen. Kaum eine Gasse gegangen lockt schon die nächste entdeckt zu werden. Dazwischen kleine Parks mit üppigen Blumen- und Pflanzenbeeten , die zum Relaxen einladen. Hier sitzen Oma und Opa mit ihren Kindern gemeinsam auf den gemütlichen Bankerl und schaun den Kids beim Speien und Rollerfahren zu. Was für eine Idylle!
Buntes Kopfsteinpflaster mit alten Laternen und verschnörkelten Bänken und Mistkübeln zieren den Plâce de la République. Hier befindet sich das klassizistische Rathaus mit dem geschwungenen dreieckigen Giebel und im schönen Abendlicht glüht das Rot des Buntsandsteins, aus dem es erbaut wurde. Der ausladende Balkon über dem prächtigen Holztor ist mit der französischen Flagge behängt und passend dazu darüber die Parole Liberté, Égalité, Fraternité – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit in Goldlettern angebracht.
Unsere Neugier zieht uns weiter und wir schlendern durch die netten Gassen. An den Tischen vor den Cafés, Brasserien oder Restaurants sitzen nach getaner Abend gemütlich die Leute lachen und scherzen und lassen bei Flammkuchen und Wein den Tag ausklingen. Liebevoll restaurierte, alte Häuser mit alten geschnitzten Holztoren und Messing-Türklopfer reihen sich aneinander. Beim genaueren Hinsehen finden wir aber auch halb verfallene, wo schon der Putz von der Mauer fällt und das Klingeltableau nur noch zur Zierde drauf hängt. Das Gesamtbild macht das Flair aus, denn jedes an sich erzählt seine eigene Geschichte.
Wir biegen in die Rue de la Passerelle ein und gelangen von dort auf die berühmte Schlupfgass, einen kleinen Steg, auch Klein-Venedig genannt. Von hier bietet sich ein malerischer Ausblick Hinterhofgärtchen an der Lauter.
Nur wenige Schritte entfernt, kommen wir zum kleinen Plâce du Marché aux Choux und das Haus Nr. 7 hat es uns angetan, denn hier werden Schokoladenträume wahr. Hier befindet sich die Pâtisserie des hoch dekorierten Daniel REBERT, seine Künste sind weit über die Grenzen Wissenbourgs hinaus bekannt, heißt es in unserem Reiseführer. Wir haben das Glück auf unserer Seite, denn erstens hat die Konditorei noch 5 Minuten offen – das reicht, um einen Karton der köstlichen Kunstwerke zu kaufen. Wir bezahlen stolze 13 Euro für vier Petit Fours, aber man gönnt sich ja sonst nix, n´est ce pas? Und zweitens, wären wir erst morgen hergekommen, hätten wir nur in die leeren Schaufenster starren können – schließlich ist am Montag Sperrtag.
Eine Stunde später sitzen dann auch wir gemütlich im Gastgarten des Restaurants à L´Espérance. Obwohl es hier Schnecken gibt, die sich Wolfgang schon so oft aus Neugier bestellen wollte, können wir doch dem Flammkuchen nicht widerstehen. Dazu das elsässische Bier Kronenbourg, hergestellt in der größten französischen Brauerei in Obernai. Auch diese tarte flambée schmeckt vorzüglich, kein Wunder, erst nach dem Essen entdecken wir auch dieses Restaurant als Empfehlung in unserem Reiseführer. Eine nette Anekdote nebenbei – unfreiwillig belauschen wir das Gespräch der beiden deutschen Ladies am Nachbartisch, wie die eine zur anderen sagt manchmal red ma mitnand gar net, weil ma mitn guckn so bschäftigt sind. Uns geht es ähnlich.
Mit vollen Bäuchen flanieren wir gemütlich die Gassen zurück zum Stellplatz und stellen fest, dass mittlerweile schon einige Campervans mehr neben uns eingeparkt haben. Na dann, bonne nuit.
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