Auch heute bedeckt eine dicke Wolkenschicht den Himmel und es ist leicht windig. Wir sind nach OBERNAI gefahren und sind nun gespannt, was uns das verschlafen wirkende Städtchen so bieten wird. Was wir aber aus unserer bisherigen Reise schon wissen, ist das im 7. Jhdt. die Heilige Odilia in Obernai geboren wurde und dass hier seit 1969 das Elsässische Kronenbourg Bier gebraut wird.

Wir schlendern vom westlichen Parkplatz, der außerhalb der Stadtmauer liegt, gemütlich Richtung Altstadt und erreichen in kürzester Zeit den Plâce de l´Etoile. Hier befindet sich laut Reiseführer ein beliebtes Fotomotiv, nämlich das Hôtel zum Schnogaloch. Ein weiß getünchtes Fachwerkhaus mit pink färbigen Fensterläden, üppig herabhängenden roten Geranien, Steintröge mit tollem Blumenschmuck und, und, und – es könnte nicht kitschiger sein und doch sieht das ganze Ensemble mit den pinken Gartenstühlen davor wirklich entzückend aus.

Ein paar Straßen weiter kommen wir zur Eglise St-Pierre-et-St-Paul und wir treiben mit dem Menschenstrom in die Kirche hinein, denn heute ist Sonntag und Zeit für die Messe. Wir belassen es vorerst aber dabei, vom schön beleuchteten Innenraum nur einige Fotos zu schießen, von der Messe in französischer Sprache würden wir eh nix verstehen.

Wir widmen uns dem im Elsass typischen Sechs-Eimer-Brunnen im 1579 Renaissancestil erbaut, der nur wenige Meter unterhalb steht. Die namensgebenden Eimer hängen an Ketten, die vom achteckigen Baldachin hängen, der wiederum auf drei korinthischen Säulen getragen wird. Verziert wird der Brunnen von einer Posaune blasenden Engel, hübschen Dachrinnen und einer Wetterfahne. Und aus den Eimern quillt heute kein Wasser mehr, sondern schöner Blumenschmuck.

Gegenüber dem Brunnen ist bereits eine Fassade des sonnengelben Hôtel de ville sichtbar mit dem hübschen, verschnörkelten Steinbalkon, der von Fratzengesichtern verzierten Konsolen getragen wird. Das Rathaus wird an der Westseite flankiert von einem Kapellturm aus dem 16. Jhdt., der nach dem Abriss einer Marienkapelle 1873 übrigblieb. Der 60 Meter hohe Turm diente der Stadt fortan als Wach- und Glockenturm.

Den Mittelpunkt der Altstadt Obernais bildet der kleine Plâce du Marché, auf dem sich der Ste-Odile-Brunnen befindet. Odilie steht auf einer Säule inmitten den Brunnenbeckens uns schaut auf uns herab. Sie wirkt ein wenig traurig, braucht sie aber gar nicht sein, denn mittlerweile ist die Sonne durch die Wolkenschicht durchgedrungen. In ihrer rechten Hand hält sie ein Buch, auf dessen Außenseiten sich jeweils ein Auge befindet. Am anderen Ende des Marktplatzes steht die ehemalige Kornhalle, die in der Renaissance 1554 entstanden ist. Ochsenköpfe zieren die Ecken und sind heute noch Zeuge, dass sie früher auch als Stadtmetzgerei genutzt wurde. Das mit einem Miniglockenturm besetzte Haus beherbergt heute das Restaurant La Halle aux blés.

Obernai findet schon nach dieser kurzen Zeit, die wir hier sind, unser Gefallen. Deshalb wundert es uns nicht, dass so zeitig schon so viele Touristen unterwegs sind. „Gruppe Neckermann, mir nach“, ja ganze Busladungen werden heran gekarrt und die Sehenswürdigkeiten von Menschenmassen belagert. Wir spazieren weiter, die kopfsteingepflasterte Rue du Géneral Gourand entlang, bestaunen die Fassaden der hübschen Fachwerkhäuser und die Auslagen der kleine Geschäfte. Unscheinbar zwischen den Häusern befindet sich der sehenswerte Cour Fastinger, der Fastingerhof. Einst gehörte das Gebäude dem Bürgermeister und Metzger der Stadt. Im Innenhof erinnern ein alter Ziehbrunnen mit einem Ochsenkopf und das Handwerkszeichen darüber an dessen Tätigkeit. Der geschnitzte Holzbalkon, der innen herum führt ist auch toll, sieht aber nicht mehr sehr vertrauenswürdig aus. Begehbar muss er aber noch sein, denn wie wäre dann diese Blütenpracht hingekommen!

Plötzlich kommt ein durchgängiges Brummen aus der Rue de Sélestat. Was ist denn da los? Neugier beschleunigt unsere Schritte und bald schon wird eine Kolonne von Oldtimern sichtbar. Wow, da sind ausgesprochen tolle Gefährte dabei und den Fahrern ist es von ihren Gesichtern zu lesen, dass sie die Fahrt und natürlich die Aufmerksamkeit der Zuseher in vollen Zügen genießen.

An der Nr. 9 kommen wir zur unter Denkmalschutz stehenden Synagoge von Obernai. Da die Eingangstür so einladend offen steht, betreten wir den Innenraum. Wolfgang muss zuvor aber noch eine Kippa auf sein Haupt legen. Ein hübscher Menora (Leuchter) schmückt den vorderen Bereich, wir bestaunen aber die Torarolle, die offen auf einem weinroten Samttuch liegt.

Wir kommen zum Rempart Maréchal Foche, dem besterhaltenen Teil der mittelalterlichen Stadtbefestigung mit einem imposanten Rundturm. Obernai war im 12. Jhdt. von einem doppelten Mauerring umgeben, wovon der innere (1.400 m) davon größtenteils noch erhalten ist. Er wurde 1292 mit 20 Türmen und 4 Toren errichtet. Anfang des 14. Jhdt. folgte dann der äußere Ring mit 12 Türmen und 4 Toren.

Wir schlendern die Rue du Marché, Obernai´s kleine Flaniermeile zurück Richtung Marktplatz. Hier reiht sich ein Restaurant oder Café an das andere und wir können dem Duft nicht widerstehen, zumal es schon Mittag geworden ist und der Hunger sich meldet. Aber wo schmeckt das Essen am besten oder ist es am gemütlichsten? Wir entscheiden uns für das Restaurant Santa Maria und schon beim Lesen der Speisekarte haben wir Spaß. Denn sollen wir uns für die „Blaue in Creme oder in Münster parnierte Schnur“ (soll ein Cordon Bleu sein) oder doch für das „Rindslesezeichen in Schalotten“ entscheiden? Die Übersetzungen ins Deutsche bringen uns ordentlich zum Lachen. Tja, mit dem Bestellen des Weins geht´s dann weiter, dann da heißt es in der Karte: „Le Viertel (Pichet de 25 cl): Le prix de verre x2 oder La chope (50 cl): le prix du ¼ (Viertel) x2“. Da muss man erst Mathematik studiert haben!

Wie gestern, müssen wir auch heute unsere Fotos ein zweites Mal neu machen, denn mit blauem Himmel und Schäfchenwolken, wie wir´s jetzt haben, sind sie doch viel schöner. Deshalb folgen wir wieder dem Parcours historique d´Obernai, den Emailtafeln, auf denen kurz und anschaulich und auf interessante Weise die Geschichte, das Leben und vieles mehr der Stadt erklärt wird.

Einen Zwischenstopp legen wir in der Patisserie ein, wo wir unseren täglichen Kuchen besorgen. Heute gibt es Tarte Quetsche und Tarte Myrtille (Zwetschken- und Heilbeer-Tarte).

Außerhalb der Stadtmauer kommen wir wieder zur Kirche Saints-Pierre-et-Paul, der wir nochmals einen Besuch abstatten. Sie wurde zum Teil auf dem Platz einer ehemaligen Kirche errichtet, die 1867 abgetragen wurde. Im Inneren beeindrucken uns die goldene Vierungskuppel im byzantinischen Stil, die mächtige Orgel und die alten Altäre aus der Vorgängerkirche. Wir haben im Laufe der letzten Tage viele Kirchen besucht und doch hat jede ihren eigenen Besonderheiten und Charakter. Auch hier fühlen wir uns geborgen und doch müssen wir uns verabschieden und unsere Reise fortsetzen.

Auf der Route des vins d´Alsace durchqueren wir wieder die kleinen Orte und ernten von so manch einem Einheimischen neugierige Blicke. Manchmal kommen wir uns mit dem großen Gefährt auf den kleinen Straßen eh ein wenig komisch vor. Nein, wir haben uns nicht verfahren, wir wollen auf den Überlandstraßen das Land erkunden. Zwischen den Siedlungen durchqueren endlos erscheinende Weingärten, die sich auf beiden Seiten die Hügel hinauf winden. Trauben in allen Farben hängen an den Reben und sind bereit gepflückt zu werden. Immer wieder begegnen uns Radfahrer und Wanderer in dieser schönen Landschaft.

Zu den größten Wein verarbeitenden Orten im Elsass gehört unter anderen auch DAMBACH-LA-VILLE, das inmitten von Weinbergen liegt. Außerhalb der nahezu unversehrten Stadtmauer finden wir noch einen Parkplatz für unseren Campervan. Wir betreten den Ort durch das Porte de Scherwiller, eines der drei Tore aus dem 14. Jhdt. Auf dessen Türmchen ist ein großes Storchennest angebracht, doch Herr und Frau Storch sind aber ausgeflogen. Schon nach wenigen Schritten kommen wir zum Plâce du Marché, der vom hübschen Renaissance-Rathaus dominiert wird. Der hohe Treppengiebel endet an der Spitze mit einem kleinen Glockentürmchen. Rund um den idyllischen Platz reiht sich ein prächtiges Fachwerkhaus neben das andere. Wir lassen unseren Blick herumschweifen und hätten dabei den Brunnen übersehen, der vom üppigen Blumenschmuck regelrecht zugewachsen ist. Einzig der Bär mit dem Weinbecher zwischen seinen Pratzen ragt aus dem Dickicht heraus. Auch die Kois, die im Wasser schwimmen, nehmen wir erst wahr, als ein kleiner Junge sie mit Weißbrot füttert. Jedes Mal, wenn sie ihr Maul aus dem Wasser ragt, um nach dem Futter zu schnappen, lacht der Kleine aus vollen Herzen.

Wir spazieren rechts neben dem Rathaus die Kirchengasse entlang und uns fällt auf, dass wir beinahe bei jedem Haus eine Einladung zur Weinverkostung bekommen. Mit Name, Weinrebe und Auszeichnungen buhlt jeder Winzer um seine Kunden. Auf unserem Rundgang entlang der Stadtmauer entdecken wir viele schöne Brunnen, Innenhöfe und kleine Läden. In einer Poterie kaufen wir uns einen dekorativen Krug und plaudern eine Weile mit der Künstlerin. Wir beschließen, die Straße umzubenennen und zwar in die „Rue du chats“, die Katzengasse, denn außer Katzen ist abseits vom Trubel keine Menschenseele mehr zu sehen. Eine ganz mutige lässt sich von uns sogar kraulen und genießt die Aufmerksamkeit. Kein Wunder, wir sind geübt, haben wir doch zuhause intensives Training, was die Streicheleinheiten betrifft. Wir schlendern weiter, gucken über so manches Gatter, wo die Bewohner der Winzerhöfe mit Blumen, alten Utensilien und Weinflaschen dekoriert haben. Wir kommen an einem Haus vorbei, wo vor der Eingangstür ein uralter geflochtener Puppenwagen steht und darin – ja natürlich – mützt genüsslich eine dicke, schwarze Katz.

Wir verlassen den verschlafenen Ort wieder und haben noch ein kleines Highlight auf unserem Plan. Auf einer Anhöhe, inmitten der Weinberge mit Blick auf Dambach-la-Ville, liegt die Chapelle Saint-Sébastien. Es handelt sich hier um die Reste des verschwundenen Dorfes Oberkirch. Der älteste Teil, der romanische Glockenturm, stammt aus dem 12. Jhdt. Im Innenraum bestaunen wir den barocken Hochaltar, der aus Birnen- und Lindenholz geschnitzt ist. Auch die naive Statue des Heiligen Sebastian findet unseren Gefallen, weil sie uns an die alten Heimatfilme erinnert.

An der Nordostseite der Kapelle beherbergt eine Gruft ein Beinhaus. Es ist nicht erwiesen, ob die Gebeine von Gefallenen des Bauernkrieges stammen oder doch vom alten Friedhof. Beim Anblick der Knochen und Schädel läuft uns die Gänsehaut über den Rücken. Auf einer Steintafel darüber steht eingemeißelt der Spruch: Ce que vous êtes, nous l’étions- Ce que nous sommes, vous le deviendrez, was so viel heißt wie „was ihr seid, sind wir gewesen, was wir sind, werdet ihr sein“. Wie treffend, aber das hat noch Zeit, wir hoffen noch ein paar Jährchen vor uns zu haben!

Es ist spät geworden und wir müssen weiter des Weges gen Süden. Deshalb fahren wir auf die Autobahn, die wir erst bei Kaysersberg wieder verlassen. Dort steuern wir den Stellplatz für Wohnmobile an, doch wir machen darauf nur eine Rundfahrt. Denn als wir sehen, dass wir da mit achtzig anderen auf engstem Raum stehen müssten und das für acht Euro – non merci! Daher machen wir kehrt und fahren zurück bis nach Kientzheim. Vor den Toren des Dörfchens stellen wir unser Auto auf dem Parkplatz ab und beschließen, die Nacht hier zu verbringen. Im Nu haben wir noch ein paar neue Nachbarn rund um uns, die es uns gleichtun.



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