Der Gockel, der im Gehege auf der anderen Straßenseite wohnt, kennt die Uhr überhaupt nicht, denn er hat lange vor fünf Uhr morgens zu „krähen“ begonnen. Dafür stimmt die Kirchenuhr, denn die hat alle Viertelstunde glockenklar und vor allem laut gebimmelt.

Gestern Abend war das Dorf komplett verschlafen und heute wuselt es rund um uns. In den Weingärten wird schon fleißig gelesen und in den Kellereien gepresst. Zum Frühstück brauchen wir aber keinen Wein, daher packen wir zusammen und fahren weiter. Hübsch eingebettet liegen die kleinen Orte zwischen den Weinbergen, nur die Kirchtürme ragen aus dem Grün heraus.

Während der Nacht hat es leicht geregnet und jetzt schaut es etwas düster aus – so können wir nur hoffen, dass es halbwegs trocken bleibt. Zum Ende unseres Urlaubes steht noch ein Highlight am Programm, nämlich RIQUEWIHR – das Bilderbuchdorf aus dem Mittelalter. Wir freuen uns, dass wir auf dem kleinen Parkplatz noch ein freies Platzl finden, denn es scheint, dass viele Campervans die Nacht hier verbracht haben. Wir kramen unsere sieben Sachen zusammen und marschieren los. Durch einen Torbogen mitten durch das Rathaus kommen wir in den Altstadtkern zum Place Voltaire. Von dort führt die Rue du Général de Gaulle schnurstracks durch das Dorf. Dicht aneinander geschmiegte pittoreske Fachwerkhäuser in Regenbogenfarben säumen die nahezu verkehrsfreie Hauptstraße. So macht das Flanieren richtig Spaß und wir können nahezu ungestört alles betrachten und in den Auslagen gustieren. Wie durch ein undurchsichtiges Abschleppseil werde ich in das Geschäft Melodie de la vie – Décoration de charme hineingezogen. Nur gut, dass wir die Kreditkarte mithaben, denn die Verkäuferin packt mir so einiges ein. Wolfgang wartet inzwischen gemütlich auf dem Bankerl vor dem Laden und verwöhnt eine Katze mit ausgiebigen Streicheleinheiten. Auch von mir bekommt sie noch welche und schließlich bleibt sie mitten auf der Straße hypnotisiert mit geschlossenen Augen sitzen. Nein, als ein Auto die Gasse lang kommt, retten wir sie natürlich und setzen sie auf der Stiege ab.

So, nun geht es aber wieder weiter des Weges, denn es gibt noch viel zu sehen. Unser Reiseführer macht uns auf viele Details bei so manchem Haus aufmerksam. Kunstvolle Verstrebungen und Schnitzbalken, originelle Verzierungen, schöne Erker oder alte Wappen kommen da zum Vorschein. Wir entdecken sogar auf einem Gebälk einen Manneken-Pis. Auf dem Eckpfosten vom Haus des Nagelschmieds ließ sich der Hausherr mit Panzerhemd und Vollbart darstellen. Wahre Kunstwerke sind auch die vielen, schmiedeeisernen Zunftschilder an den Hausmauern. Die Balkone und Fensterbretter der Häuser sind vollgehängt mit Töpfen, Ampeln und Kübeln gefüllt mit einer Blumenpracht, schöner könnte es gar nicht sein. So manche Hausmauer ist vom wilden Wein derart zugewachsen, sodass die Ranken schon beinah durchs Fenster ins Innere greifen. Vor den Häusern werden die Gastgärten für das Mittagessen vorbereitet und auch in den Geschäften wird Ware verstaut und die Regale aufgefüllt. Aus der Bäckerei lachen uns die kleinen Tartes schon wieder an, aber die gibt´s erst später. In der Auslage des Delikatessladens stehen Gläser, gefüllt mit Baeckaoffe (Kartoffel-Fleisch-Pfanne), Choucroute (Sauerkraut mit Fleisch und Würsten), Moutarde (Senf) und Fois gras (Gänseleber). Da verzieht es uns das Gesicht, denn das schaut alles andere als gut aus – ja sogar richtig ekelig. Und ehrlich, wir möchten das auch gar nicht probieren.

Riquewihr hatte im Mittelalter drei Kirchen in der heutigen Rue des trois Eglises. Zwei davon sind als solche auf den ersten Blick nicht mehr erkennbar. Sie wurden im 16. Jhdt. zu Wohnhäusern umgebaut, lediglich die Fenster, Rundbögen oder Erker erinnern noch an die frühere Funktion. Wir wären schon neugierig gewesen, wie so ein Raum von innen aussieht, denn anscheinend soll in einem noch ein Wandbild des Jüngsten Gerichts vorhanden sein.

Auf dem höchsten Punkt des Dorfes kommen wir zum Wahrzeichen der Stadt, dem sogenannten Dolder. Der fachwerkverzierte Wachturm aus dem Jahr 1291 beherbergt heute in seinen vier Stockwerken ein Heimatmuseum. Davor befindet sich der schöne Sinnbrunnen mit dem Löwen, der das Stadtwappen festhält. Noch etwas weiter oben steht das Obertor, das man mit einem Fallgitter verschließen konnte. Wir gehen durch das Tor und von da haben wir einen tollen Blick auf die gut erhaltene Stadtmauer und die umliegenden Weinberge. In die Mauer hat man Häuser integriert, einige davon kann man als Ferienwohnung mieten. Das wär doch mal was!

Wieder zurück in der Stadt zweigen wir zum Judenhof ab, wo der fünfeckige Tour des Voleurs steht. Im Turm war das Gericht untergebracht und er diente bis zur Revolution als Gefängnis, wo Diebe und Hexen grausam gefoltert wurden.

Schrecklich ist auch die Unglücksstelle im Eckbereich gegenüber dem Dolder. Am Neujahrstag hat ein Großbrand vier Häuser zerstört, bei dem auch eine 90-jährige Frau ums Leben kam. Obwohl die Brandstelle mit Holztafeln großflächig verdeckt wurde, ist das Ausmaß der Katastrophe noch immer sichtbar. Fleißige Arbeiter sind am Werke, um die Häuser wieder aufzubauen.

Etwas abseits der Lebensader von Riquewihr schlendern wir die Gasse hinunter Richtung Rathaus. Dabei fällt uns das Hotel Saint Nicolas auf, denn die Ecken der Hausmauer wurden abgerundet, damit die Pferdekutschen um die Kurve lenken konnten.

Wir sind wieder am Place Voltaire angelangt und der Ort hat einen tiefen Eindruck bei uns hinterlassen. Gerne wären wir noch länger geblieben, aber unsere Zeit hier im Elsass ist beinah vorüber. Riquewihr wurde zu einem der schönsten Dörfer Frankreichs gewählt und wir können das nur bestätigen, denn zur Schönheit kommt dazu, dass die Menschen hier auch ausgesprochen freundlich und kommunikativ sind.

Nur wenige Kilometer weiter erreichen wir RIBEAUVILLÉ und auch hier wurden bei der Auszeichnung vier Fleuris (Blumen) vergeben. Deshalb zählt auch dieses Dorf zu den beliebtesten Zielen der Weinstraße. Obwohl eigentlich nicht mehr Hauptsaison ist, stauen wir uns auf der Durchgangsstraße und weit weg vom Schuss stellen wir schließlich im Siedlungsgebiet neben dem Gehsteig unser Auto ab. Dann heißt es zu Fuß Meter machen, bis wir die Altstadt erreichen.

Das erste, was wir zu sehen bekommen, ist der zur Stadtbefestigung gehörende Tour des Cigognes am Strengbach, ein Rundturm mit aufgesetztem Kegel. Er ist gekrönt von einem großen Storchennest, daher wahrscheinlich der Name. Nicht weit davon entfernt kommen wir zum Office de Tourisme, das früher das Zollhaus war. Auf dem Platz davor befindet sich der Fontaine du Vigneron, auf dessen reich verziertem Sockel präsentiert ein Winzer prächtige Weintrauben.

Der Brunnen wurde 1909 errichtet, als Zeugnis für den wichtigen Platz, den der Weinbau einnimmt. Wir organisieren uns einen Stadtplan, flanieren die Grand Rue entlang und halten Ausschau nach den beschriebenen Attraktionen. Wir lassen uns durch die Gassen treiben und treffen dabei immer wieder auf das Bild eines Musikanten in mittelalterlicher Kleidung. Ribeauvillé hatte über drei Jahrhunderte lang eine ganz besondere Beziehung zu den Spielleuten und Pfeiferbrüder. Sie zogen in der Gegend herum und unterhielten bei Festen, Markttagen oder Hochzeiten die Bevölkerung. Auf den Balken der Wistub zum Pfifferhüs sind geschnitzte Engel angebracht und die Inschrift Ave Maria Gracia Plena von 1663 erinnert an die Marienwallfahrt. Sie war die Schutzpatronin der fahrenden Musikanten, auch Pfiffer genannt.

Den großen Place de la 1ère Armée dominiert die Herberge zum Elefanten, ein prächtiges Fachwerkhaus, dessen Fassade das Bild eines Elefanten ziert. Die in Oliv gestrichenen Balken heben sich vom Gelb des Hauses schön ab, mal was anderes. Nur wenige Schritte entfernt entdecken wir am Eckpfeiler der Pâtisserie wieder einen hübschen Pfeifenspieler. Natürlich erhaschen wir hier auch einen Blick ins Innere, wo die schönsten Petits Fours, Macarons und Éclairs feilgeboten werden. Der Duft von frisch gebackenen Kokosbusserl strömt uns entgegen, aber wir widerstehen der Versuchung und schlendern weiter.

In den verkehrsberuhigten Gassen laden viele kleine Feinkostläden, Souvenirstuben, Cafés und Winstubs zum Stöbern und Verweilen ein. Wir machen einen kurzen Abstecher ins Innere der Chapelle Ste-Catherine, die einst zum Armenkrankenhaus gehörte. Seit 1970 steht die Kapelle Künstlern für deren Ausstellungen zur Verfügung und heute bietet eine fleißige Schmuckherstellerin ihre Ketten, Ringe und vieles mehr zum Kauf an. Ist aber leider gar nicht unser Geschmack.

Anders schaut es da mit dem elsässischen Essen aus, das wir im Restaurant l´Arbaléte bestellen. „Stopfleber von Ente hat den Pfeffersamen“, „Hax auf Sauerkraut trinkt Riesling aus“ oder „Die Kalbniere tunkt schwarz Pinot aus“ – das sind wieder einige Highlights in der Speisekarte. Wir nehmen ein letztes Mal die Tartes flambées und dazu ein Flascherl Pinot gris. Der Wein ist voll lecker, die Tarte, na ja – wir haben schon mehrmals in Winstubs beobachtet, dass fertige, gekaufte Tartes serviert werden und heute hat es uns auch erwischt. Die allererste, die wir im Norden vom Elsass gegessen haben, war mit Abstand die beste. Satt geworden sind wir allemal und der Wein zeigt auch seine Wirkung.

Der Regenguss ist wieder vorbei, der vom Himmel gekommen ist, während wir im Restaurant waren und daher setzen wir unsere Besichtigung fort. Wir kommen zum Rathausplatz, der vom barocken Hôtel de Ville beherrscht wird. Ein Prunkstück ist auch der Fontaine du Vin davor, auf dessen schmucken Säule ein Löwe thront mit dem Stadtwappen. Aus dem Brunnen soll einst einmal im Jahr Wein anstelle von Wasser geflossen sein, als Geschenk der Weinbauern an die Bevölkerung. 

Wo sich noch vor einer Stunde ein Touristenstrom durch die engen Gassen gezogen hat, ist jetzt aufgrund des Nieselregens nix mehr los. Nur der Musikant, der es sich unter dem Dachvorsprung bequem gemacht hat, verharrt der Dinge und trällert seine Songs. Wir erbarmen uns, hören ihm eine Weile zu und beglücken ihn mit ein paar Euros, bevor wir unsere Runde fortsetzen. Ein Wahrzeichen der Stadt ist der 29 Meter hohe Tour des Boucheurs, ein Torturm, der 1290 erbaut, 1536 erhöht wurde und mehrmals vom Abriss bedroht war. Noch heute befindet sich im Uhrturm die Glocke, die im Mittelalter die nächtliche Sperrstunde ankündigte. Für uns heißt es jetzt auch Abschied nehmen, von Ribeauvillé und auch vom Elsass, denn unser Urlaub ist hiermit zu Ende. Au revoir Alsace!

Wir verlassen den Ort und lassen die schöne Gegend noch einmal Revue passieren. Etwa zehn Kilometer von Sélestat entfernt thront auf einer Anhöhe die mächtige Haut-Kœnigsbourg. Die Besichtigung dieser im 20. Jhdt. rekonstruierten Burg hätten wir uns auch noch gerne angesehen, aber diese Besichtigung verschieben wir auf den nächsten Elsass-Besuch. Wir fahren auf die Autobahn und kommen trotz des Abendverkehrs sehr zügig voran. Vor Straßbourg werden wir von einem Radar noch schnell fotografiert, damit sie ein Andenken von uns haben. Kurz vor 16:00 Uhr überqueren wir die Rheinbrücke und im Nu sind wir in Deutschland gelandet.

Wir resümieren die Zeit im Elsass und freuen uns im Nachhinein noch darüber, dass wir so tolles Wetter gehabt haben, denn während der Fahrt prasselt der Regen stellenweise ordentlich herab. Trotzdem schaffen wir eine große Strecke, bis beim Knotenpunkt Frankfurt – Karlsruhe – Stuttgart der Stau beginnt. Als es langsam dunkel wird, beschließen wir ein Nachtlager anzupeilen und das Navi schlägt uns den Campingplatz Gröschel am Schnackensee vor. Querfeldein landen wir aber vor einem verschlossenen Schranken. Wir schaun aber schön blöd, denn die Saison ist vorbei und keiner mehr da. Also begeben wir uns auf die Suche und finden den Betreiber, der so nett ist und uns für diese Nacht einlässt und uns die Toiletten aufsperrt. Na ja, so haben wir den ganzen Platz für uns allein. Den See aber nicht, denn dort treffen wir auf Angler, die vor wenigen Minuten einen 1,62 m großen Stör gefangen haben. Erst glauben wir, dass sie uns eine Geschichte reindrücken wollen, aber nachdem sie uns ihr gefilmtes Video zeigen, ziehen wir unseren Hut. Wir unterhalten uns noch eine Zeit lang mit ihnen und mit Stolz berichten sie uns noch von den großen Forellen, die sie im Juli rausgeholt haben. Die Prachtexemplare werden wieder ins Wasser zurückgesetzt, nur die kleinen Fische landen auf dem Grill. Das sind schon richtige Freaks. Na dann, Petri Heil und uns eine gute Nacht!


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