Der erste Blick aus dem Fenster ist heute einfach ein Wahnsinn – ein Bild, wie in einem Reisekatalog! Blauer Himmel mit Schäfchenwolken, am Horizont die schneebedeckten Berge und davor Obstgärten und Weinberge, soweit das Auge reicht.
Für heute steht die gemütliche Rundwanderung um den Kalterer See auf unserem Programm. Später als die Tage zuvor machen wir uns auf den Weg und der erweist sich als ein wenig beschwerlich. Die kurvige, schmale Straße ist ein Paradies für die zweirädrigen Verkehrsteilnehmer, wovon die Radfahrer den Verkehrsfluss schon bremsen, wenn es aufwärts geht. Was für die einen das Paradies, ist für die anderen eine Plagerei. Aber egal, wir sind im Urlaub und haben Zeit en masse!
Nachdem wir unseren Obolus für das Parken bezahlt haben, genehmigen wir uns erst noch einen Blick über den See und die Umgebung. Wir schau´n den Enten bei der Morgentoilette zu, bevor wir gegen 10:30 Uhr endlich los marschieren. Ein idyllisches Schotterwegerl führt zu Beginn durch Wein- und Apfelgärten. An den Ästen der Apfelbäume stehen bereits kleine Früchte weg, dafür haben die Weintrauben gerade die Größe von Stecknadelköpfen erreicht. Bunte Blüten am Wegesrand geben den vielen Grüntönen rundherum Farbe und großes Entzücken finden die sattgelben Blüten der Sumpfschwertlilien. Wir werden von Vogelgezwitscher begleitet, das sich oft wie ein richtiges Konzert anhört.
Wie auf allen unseren Wanderungen haben wir auch hier dasselbe Problem, wir kommen einfach nicht vorwärts. Dauernd bieten sich Bilder an, die festgehalten werden wollen. Nicht selten müssen wir uns dafür auf den Boden knien oder legen. In Südtirol dürfen die Radfahrer auch auf den Wanderwegen fahren und da heißt es dann „nix wie weg, damit uns keiner über den Haufen fährt“.
Als wir uns dem Ortsteil Klughammer nähern, thront hoch über dem Kalterer See, inmitten der Wälder, majestätisch die Ruine Leuchtenburg. Sie kann mit einer kleinen Wanderung erreicht werden, wir aber schlendern den Weg weiter, der jetzt durch Wälder führt. Mein Botaniker-Herz macht Luftsprünge, denn der feuchte, weiche Boden des submediterranen Buschwaldes nährt die gesamte Palette an Frühlingswildblumen. Inmitten von Flaumeichen, Hopfenbuchen oder Blumeneschen gedeihen unter anderen Kronwicken, wildwachsender Storchenschnabel oder gelbe Sonnenröschen. Auch wunderschöne rosarote Blüten der Diptam-Heilpflanze entdecken wir. Sie wird über einen Meter hoch und besitzt einen zitronenartigen Duft. Da das Rautengewächs in Mitteleuropa nur noch vereinzelt vorkam, steht es unter Naturschutz. Damit der Wanderer weiß, womit er es hier zu tun hat, informieren Tafeln über Fauna und Flora anschaulich mit Beschreibungen und Bildern.
Gemütliche Bankerl auf lauschigen Plätzen mit Blick auf den See, laden immer wieder zum Verweilen ein. Daher lohnt auch der kurze Abstecher auf die Aussichtsterrasse, denn von dort bietet sich uns ein toller, weiter Blick über den tiefgrünen Kalterer See, umrahmt von der Bergwelt. Der Kalterer See ist mit einem Kilometer Breite und zwei Kilometer Länge der größte, natürliche See Südtirols und lockt viele Besucher aufgrund des milden Klimas an. In den Sommermonaten bläst nachmittags die Ora, ein warmer Südwind vom Gardasee, her.
Am Nordufer des Sees befindet sich ein Biotop, ein Naturparadies von unschätzbarem Wert. Im Schilfgürtel finden viele Arten von Vögeln, Fischen, Insekten und Lurchen Unterschlupf. Wir werden vom Quaken der Frösche begrüßt, nur blicken lässt sich von diesen Gesellen keiner. Es wurde ein 7,5 km langer Naturlehrpfad angelegt mit 14 Infotafeln über die Tierarten und deren Lebensräume. Außerdem gibt es einen kleinen Aussichtsturm, wo man viele Vogelarten beobachten kann – wenn sie denn alle mal vorbei schaun würden! Heute sind nicht viele zu sehen – egal – denn das gelbe Feld der Sumpfschwertlilien und die Gräser, die im Wind hin und her schaukeln, sind auch schön zum Betrachten.
An einer geschützten, sonnigen Stelle im Tümpel sonnen sich Schildkröten auf Ästen, die im Wasser liegen, Wildenten schlafen auf einem Bein stehend und in den Lüften darüber schwebt ein Schwarzer Milan, ein Greifvogel.
Wir sind am Ende des Biotops angekommen und in der letzten Lache sitzt ja doch noch ein Frosch auf einem Baumstamm. Es macht den Anschein, als hätte man ihn extra für uns dort hingesetzt.
An der Westseite des Sees erreichen wir das kleine Dorf ST. JOSEF. Direkt an der Straße liegt das mit niedrigen Mauern umfriedete Kirchlein, gebaut 1690. „Das Glöcklein vom Kalterer See“ wird in einem bekannten Volkslied besungen.
Freudig schallt es weit über die Felder,
über Weinberge, Wiesen und Klee,
helles Läuten dringt durch die Wälder,
´s ist das Glöcklein vom Kalterer See.
Andächtig lausch ich dem trauten Klang,
die Jugend ich wieder erspäh,
es klingt von fern wie Engelgesang,
das Glöcklein vom Kalterer See.
Ding dong, ding dong…
Die Gedanken entfliehn in die Zeiten,
vergangenes rückt in die Näh’,
vergessnes erstehet beim Läuten
des Glöckleins vom Kalterer See.
Viel Jahre ziehen im Geiste zu Tal,
verstorbne erwachen gar jäh,
vereinigt sind alle wieder beim Schall
des Glöckleins vom Kalterer See.
Ding dong, ding dong…
Wo immer ich sei und ich bleibe,
sei freudig mein Herz ohne Weh,
stets gilt meine Sehnsucht und Liebe
dem Heimat am Kalterer See.
Drosseln und Lerchen verstummen im Sang
und lauschen aus weiter Höh,
es dünket ein inniges Märchen der Klang
des Glöckleins am Kalterer See.
Ding dong, ding dong…
Der letzte Abschnitt des Rundwanderweges führt wieder entlang der Apfelplantagen und Weinbergen. Rund um den Kalterer See erstreckt sich das klassische Kalterer Rotweingebiet. Kalkschotterböden mit hohem Lehmanteil bieten den Rotweinsorten ideale Voraussetzungen. Die heimische Kalterer See-Rebe entfaltet hier sein höchstes Potential, ebenso wie der autochthone (einheimische, indigene) Lagrein, aber auch internationale Rebsorten wie Merlot oder Cabernet Sauvignon. Übrigens, der Lagrein ist zu unserer Lieblingsrebe geworden und wir können den tiefroten, nach Kirschen duftenden Rotwein nur wärmstens empfehlen.
Als Belohnung für das brave Wandern gönnen wir uns im Lido-Café noch einen leckeren Eiskaffee. Freche Spatzen hüpfen zwischen den Tischen und Stühlen herum in der Hoffnung irgendwo ein paar Brösel abzustauben. Kaum stehen die Gäste am Nebentisch auf, begutachten die Tiere die Lage auf den Tellern. Schnell – bevor die Serviererin kommt und alles wegräumt! Während sich unsere Füße dabei entspannen können, beobachten wir das Treiben rundherum. Nicht auszudenken, wie es hier in der Hochsaison zugehen muss, denn es wuselt heute nur so von Ausflüglern und Touristen. Einige Hartgesottene liegen bereits halb nackt auf der Liegewiese und lassen sich in der Sonne grillen. Andere begnügen sich wiederum am See beim Strampeln eines Tretbootes oder lassen sich den Wind beim Kitesurfen um die Ohren sausen.
Es hilft nix, aber wir müssen in die Sauna, ähm ins Auto einsteigen, denn wir machen noch einen Abstecher nach PFUSS. Die schmalen Gassen der winzigen Ortschaft scharen sich um die St. Rochus Kirche, die 1516 zur Abwendung einer Pestepidemie als Votivkirche erbaut wurde. An der Außenwand ist noch gut sichtbar ein Christopherusfresko aus dem Jahr 1519. Das Innere der Kirche bleibt uns aufgrund verschlossen Tore vorenthalten.
Daher, wieder rein ins Auto, wir fahren weiter. Inmitten einer Terrasse voller Obstwiesen und Weinbergen hoch über Kaltern gelegen, befindet sich das idyllische, kleine Dörfchen ALTENBURG. Dort steht das Hochzeitskirchlein St. Vigilius, dessen Dach mit bunt glasierten Biberschwänzen gedeckt ist. Die großen Zeiger der Turmuhr flattern im Wind, als würden sie jeden Moment abheben. Auch hier ziert der Hl. Christophorus die Mauern, das älteste Wandgemälde Kalterns aus dem Jahr 1320. Der Innenraum erinnert uns an alte Heimatfilme, winzig und schlicht, aber ausgesprochen hübsch. Die Ausstattung ist ausschließlich aus Holz gestaltet und auf den harten, engen Sitzbänken büßt man wirklich seine Sünden ab. Der sieben Meter hohe, geschnitzte in Farbe und Gold gefasste Flügelaltar lenkt uns dabei ein wenig ab. Auch die farbigen Glasfenster und das Spitzgewölbe finden unser Gefallen.
In unmittelbarer Nähe des Kirchleins befindet sich ein wunderbarer Aussichtspunkt mit einem zauberhaften Panorama auf den Kalterer See und seine Umgebung. In den Wäldern liegen eingebettet die kleinen Orte und auch die Leuchtenburg ist sichtbar. Wie Playmobil-Figuren wirken die Teilnehmer der Segelregatta, die gerade auf dem See stattfindet. Wir genießen die Aussicht eine Weile und da uns der stürmische Wind dann doch zu viel wird, verlassen wir das Platzerl wieder.
Den Tag lassen wir in Kaltern ausklingen und ergattern den letzten Gartentisch im „Drescherkeller“, einem Südtirolerischem Heurigen. Zur herzhaften Brotzeit mit Kaminwurz´n und Speck und Schüttelbrot schmeckt der Wein ausgezeichnet. Hier gibt es auch eine Seltenheit, denn die gesamte Grundparzelle steht unter Denkmalschutz. Mitte des 17. Jhdts. kam der Ansitz in Besitz der Familie Drescher. Der Beamte der Staatskasse belegte Christoph Dröscher mit der hohen Geldstrafe von 500 Gulden, „umbwillen er mit der pixen auf das wildpret außzugehen sich angemast habe“. 1767 erhalten die Drescher-Brüder von Kaiserin-Witwe Maria Theresia das Wappen. Der Wappenbrief ist heute im Keller zu besichtigen, das Siegel auf der Speisekarte. Der Ansitz ist seit über 600 Jahren in Familienbesitz und der Weinkeller feiert heuer sein 50-jähriges Jubiläum. Gefeiert wird aber heute was anderes, nämlich eine Hochzeit.
Es ist mittlerweile nach 18:00 Uhr, wir verlassen den Drescherkeller, aber zurück zum Appartement wollen wir noch nicht. Am Marktplatz vor dem Rathaus spielt eine Volksgruppe urige Musik. Daher lassen wir uns an einem Tischerl auf dem Platz nieder. Im Weinhaus „Punkt“ werden nach dem Motto „Wein ist Poesie in Flaschen“ die besten Weine Kalterns ausgeschenkt. Der Weißburgunder und der Lagrein überzeugen uns davon!