Für heute hätten wir uns die Wanderung durch die Bletterbachschlucht bei Radein vorgenommen. Wohlgemerkt, es war so geplant, denn oft kommt es anders als man denkt. Aber erst mal der Reihe nach.
Langsam kommen wir auf den schmalen Straßen voran, weil viele Weinbauern mit ihren Minitraktoren unterwegs sind und sie damit nicht schneller als 40 km/h fahren dürfen. Über Neumarkt geht es Richtung Val di Fiemme und dort windet sich die Dolomitenstraße ins Gebirge hinauf. Von hier haben wir eine tolle Aussicht über die weiten Flächen der Wein- und Obstfelder und die kleinen Dörfer – mal von der anderen Seite des Tales. Auch die Sendemasten des Penegals, wo wir gestern unterwegs waren, sind gut sichtbar. Weil wir anstelle der Traktoren hier den Reisebussen nachzockeln müssen, haben wir genug Zeit, dieses traumhafte Ambiente zu genießen. Auf sattgrünen Almwiesen, gespickt mit den gelben Blüten des Löwenzahns, faulenzen die Kühe in der Vormittagssonne. Am Horizont leuchtet der Schnee von den Bergen und Wolkenschlieren durchziehen den blauen Himmel. Kitschiger geht´s ja wirklich nimma!
Wir erreichen das Besucherzentrum des Geoparc Aldein-Raidein, wo sich Europas „Grand Canyon“ befindet, die BLETTERBACHSCHLUCHT. Die 250 Millionen Jahre alte Schlucht ist 800 km lang und 400 m tief und wird flankiert von den Gipfeln des Weiß- und Schwarzhorns. Beachtenswert sind die hier vorhandenen Gesteinsschichten der Dolomiten, die vom Bletterbach freigelegt wurden. Ganz oben besteht die Schicht aus Dolomit-Kalkstein, darunter der Sandstein und bei der unteren handelt es sich um Porphyr. Die Bletterbachschlucht wurde im Juni 2009 aufgrund ihrer einzigartigen Landschaft und der geologischen Schätze ins UNESCO Welterbe aufgenommen. Man befindet hier sich auf einer Zeitreise zurück bis in die Eiszeit mit zahlreichen Fährten von Sauriern, Spuren von Fossilien und Abdrücken von Pflanzenteilen.
In einem Besucherzentrum erhält man viele Informationen darüber und es können auch versteinerte Funde besichtigt werden. Der Blick darauf bleibt uns aber verwehrt, weil wir aufgrund einer Schulklasse nicht hinein können. Auch ist unsere Enttäuschung riesengroß, als uns gesagt wird, dass die Wanderung durch die Schlucht nicht möglich ist, weil es Felsabstürze gibt und es zu gefährlich wäre. So, was tun? Als Alternative wird uns eine Almen-Rundwanderung schmackhaft gemacht mit Aussichtsstellen, wo man auch gute Blicke in die Schlucht hat. Wenn wir schon mal hier sind, werden wir das auch machen.
Zuerst gehen wir aber den Wald-Lehrpfad, der mit interessanten Tafeln über den Wald, die Lärchenwiesen und die darin lebende Tierwelt informiert. Zu Beginn führt ein breiter Schotterweg durch den Wald, der an einigen Stellen noch mit Schnee bedeckt ist. An sonnigen Stellen sind die Abhänge dicht mit Heide bewachsen – sind wir hier in der Lüneburger Heide, denn dort hat es bei unserem Wanderurlaub auch überall so ausgesehen. Voll schön. Die weiblichen Blüten der Lärchen rings herum heben sich von ihren immergrünen Nadeln ab und erstrahlen im Sonnenlicht intensiv rot. Von einer Infotafel wissen wir, dass die Lärchen sehr frosthart, Schneebruch- und Sturmfest sind. Sie sind nach der Fichte die häufigste Baumart in Südtirol. Das Holz ist sehr fest, widerstandsfähig gegen Pilze und trocknet schnell und ist gut bearbeitbar. Auch über Flechten und Pilzen lernen wir Interessantes, aber für uns neu ist die Tatsache, dass die Borkenkäfer – es gibt über 6.000 Arten – an sich keine Schädlinge sind. Sie leben nicht im Holz, sondern graben sich ihren Weg durch die Rinde. Sie sind für das Ökosystem Wald unverzichtbar, denn sie ernähren sich von totem Holz. Massenhaftes Auftreten gibt es nur durch fehlerhaftes Verhalten durch den Menschen.
Ich glaub, das mit dem Bildband über die Alpenpflanzen wird doch noch was, denn an einer Waldlichtung kniet Wolfgang ehrfürchtig mit dem Makroobjektiv vor den Leberblümchen.
So, nachdem wir die „Lüneburger Heide“ verlassen haben, erreichen wir nun „Kanada“, denn von der Aussichtsstelle, mit tollem Blick auf das Weiß (2.317 m)- und Schwarzhorn (2.439 m) sehen wir auch gut auf den Butterloch-Wasserfall. Das Wasser stürzt über eine 30 m hohe Porphyrschwelle in die Bletterbachschlucht. Von hier oben sind die verschiedenen Gesteinsschichten der Schlucht gut sichtbar.
Weiter des Weges kommen wir an eine Gabelung und dort schlagen wir die Richtung zur Lahneralm ein. Unser Schulunterricht geht weiter: in der Lichtung des Waldes wurde ein aufgeschnittener Baumstamm aufgestellt, der innen nur aus Löchern besteht. Ein Meisterwerk, produziert von Spechten, die in diesen unterirdischen Baumhöhlen nisten.
Die Lahneralm liegt 1.583 m hoch und hier werden wir schon von weitem von einem sonnigen Gastgarten eingeladen. Wir bestellen uns Polenta mit Pilzen und Bauerngröstl mit Krautsalat, dazu Rotwein aus einer Kellerei in Eppan. Schaut net recht guat aus und so schmeckt es auch. Der Wirt dürfte uns ansehen, dass uns das Essen schwer im Magen liegt, denn er spendiert uns danach einen Espresso und Brennnessel-Schnaps.
Mit vollem Magen wandern wir nun weiter durch den Wald über Schneefeldern, über entwurzelte und abgestürzte Bäume und vorbei an hohen Ameisenhaufen. Anfangs kommt es uns vor, als würden wir einen Winterspaziergang machen, aber je höher wir hinauf kommen, umso schöner werden die Abhänge. Sie sind bewachsen mit bunten Bergblumen und ganze Flächen leuchten in intensivem Rosa von der blühenden Besenheide.
Knapp 150 Höhenmeter weiter ist schon die Schönrastalm in Sicht. Unser Blick wird aber abgelenkt von den weiten Almwiesen davor, die komplett mit weißen und lilafärbigen Krokussen überwachsen sind. Dahinter liegen im Schatten der Waldbäume noch die dicken Schneefelder. Einfach traumhaft! Ein Bild, gezeichnet von der Natur – schöner könnte es der Mensch gar nicht machen. Und wir schaffen es auch nicht, diese Schönheit auf Fotos festzuhalten. Die Hummeln schwirren von einer Blüte zur anderen und ihre Pollenhöschen sind schon prall gefüllt.
Wir können uns nur schwer loseisen von diesem Paradies, aber der Kaffee wartet. Dazu empfiehlt uns die Wirtin was typisch Südtirolerischens, nämlich Strauben. Na, dann bestellen wir uns die. Sie hätt uns halt auch sagen können, dass das Riesendinger sind, denn schon allein vom Anblick sind wir schon satt. Strauben galten im 18. Jhdt. als Hochzeitsgebäck und sollten dem jungen Paar Glück bringen. Palatschinkenteig wird durch einen Trichter spiralförmig in siedendes Fett gegossen und ausgebacken. Mmmh, lecker! Aber die haben soviel Kalorien, dass unsere 10.000 Schritte von heute diese auch nicht mehr verbrennen. Das Abendessen ist hiermit ersatzlos gestrichen, wir fahren höchstens noch zum Walcher auf einen Grappa.
Gestärkt machen wir uns wieder auf den Weg. Die Sonne brennt gnadenlos auf uns herunter und das taugt natürlich den Preiselbeerpflanzen, die in der Waldlichtung gut gedeihen. Die ersten Beeren schmecken aber noch sehr sauer. Der Wegrand ist übersät mit den gelben Blüten des Huflattich, einer Heilpflanze, die trocken-warme, durchlässige Böden liebt. Plötzlich huscht ein Eichkatzerl über den Weg und so schnell es gekommen ist, ist es auch wieder im Dickicht verschwunden.
Wieder angekommen am Parkplatz beim Geoparc tun uns die Füße ordentlich weh, aber das war die Wanderung wert.
Auf der Rückfahrt genießen wir nochmal die Bergwelt und das Fahren der Serpentinen, ohne dass wir einem Traktor nachzockeln müssen. Kurz vor der Ortschaft Montan halten wir an einer Aussichtsstelle. Hier oben kannman tief ins Tal hinein und auf die weiten Weinberge sehen. Vor uns liegt die Leuchtenburg und rechterhand stürzt sich ein Wasserfall spektakulär in die Tiefe.
Müde, aber voll mit Eindrücken geht dieser Tag zu Ende.