Wir nehmen wieder die Strecke über die Berge, weil sie kürzer und auf jeden Fall schöner ist.
Vorbei an St-Florent durchqueren wir auf der D81 die Désert des Agriates. Tolle, nicht zu hohe Berge, stellenweise mit Macchia bewachsen, dazwischen Steppengegend – das ist das Bild, das sich uns hier zeigt. Die gelben und roten Früchte der Erdbeersträucher leuchten in der Sonne und über uns kreisen Greifvögel.
Wir erreichen die Balagne – hier werden die Berge niedriger und sind komplett mit Macchia bewachsen. Die Abhänge sind bedeckt mit Opuntien (Ohrwaschlkakteen), voll mit ihren Früchten.
15 km später kommt L´Île Rousse in Sicht mit der vorgelagerten Ile de la Pietra, auf der ein alter Turm und ein Leuchtturm stehen.
Auch heute stauen wir wieder durch die Stadt. Doch wir umgehen den Stau, indem wir auf dem Parkplatz am Rand der Altstadt unser Auto abstellen. Und dann stapfen wir los – erstes Ziel: der Place Paoli. Der schöne Platz mit schattenspendenden Platanen und vielen Cafès ist der zentrale Treffpunkt der Stadt. Viele Tische sind besetzt und die Menschen lauschen dem jungen Balladensänger, der sich während des Singens in der Sonne braten lässt. Die Sting-Songs bringt er wirklich gut rüber, das muss man ihm zugestehen.
In der Mitte des Platzes umgeben vier große Palmen einen Brunnen mit der Büste Pasquale Paolis. Dieser Herr verfolgt uns schon seit dem ersten Tag. Es handelt sich um einen Verfechter der Demokratie und unter ihm erlebte Korsika 14 Jahre andauernde Zeit der Unabhängigkeit. Er wurde aber von französischen Truppen geschlagen und ging danach ins Exil nach England.
Auf der Place du marché schlendern wir durch die offene Markthalle und probieren mal dies, mal das. Der Verkäufer mit den Honigprodukten schaltet von Satz zu Satz zwischen Französisch und Deutsch um. Er wäre der geborene Marktschreier für Hamburg. Einen Stand weiter probiert Wolfgang dann den Schaf- und Ziegenkäse (nicht so mein Fall). Und natürlich wollen die Verkäufer ihre Ware auch an den Mann bringen und fragen gleich, wie viel er haben möchte. Da antwortet Wolfgang brav mit dem im letzten Jahr einstudierten Satz „je ne peux pas parler français“. Darauf antwortet ihm der Mann, dass er sehr gut französisch spricht. Ich krieg einen Lachkrampf! Käse wird´s keiner – aber wir nehmen uns Kastanienhonig mit, denn der hat uns sehr gut geschmeckt, weil er nicht so süß ist.
Dann spazieren wir durch die Altstadt entlang der Rue Notre-Dame. Von dort erstreckt sich eine Esplanade, die zur Ile de la Pietra und zum Leuchtturm führt. Der Abhang ist mit Mittagsblumen (leider schon verblüht) bewachsen. Das ockerfarbige Gestein harmoniert schön mit dem kristall-klarem, türkisen Meer und verlockt dazu hinein zu springen. Das haben auch einige gemacht, vor allem wird hier geschnorchelt. Tja, wir haben unser Schnorchelzeugs auch mit, aber das liegt gut im Kofferraum des Autos und das ist uns jetzt eindeutig zu weit weg.
So, wir haben in der prallen Mittagssonne den Berg erklommen und stehen nun vor dem Leuchtturm. Von hier oben haben wir eine tolle Aussicht auf das Meer, auf die Stadt und weit in die Berge hinein mit den kleinen Dörfern, die auf den Abhängen kleben.
Erhitzt und verschwitzt haben wir uns jetzt unser Steak und Salat verdient, das wir uns in einem Gastgarten in der Altstadt bestellen.
Gestärkt und ausgeruht führt uns unsere Reise weiter auf der Route des Artisans, eine touristische Strecke durch die schönen Dörfer der Region, die entlang der D71 wie Schwalben-nester an den Felsen kleben. Hier kann man die alten, in der Balagne über Jahrhunderte ausgeübten Handwerksberufe kennenlernen. In Pigna, dem Hauptsitz der Künstler-genossenschaft spazieren wir durch die vielen, gewundenen Gassen des kleinen Orts und gucken in einige winzige Lädchen und Ateliers. Wir erstehen eine CD mit korsischen polyphonen Gesängen. Diese Art von korsischer Musik hat auf der Insel eine lange Tradition und erlebt in den letzten Jahren seine Wiedergeburt. Auf der ganzen Insel wird auf zahlreichen Festivals die Musiktradition gepflegt. Dreistimmig von Männern gesungen, stammen Texte und Melodien teilweise aus dem Mittelalter und wurden mündlich überliefert. Sie handeln von Alltagssituationen und sind nicht sakralen Ursprungs.
Auch einen Blick in die kleine Kirche werfen wir und sind ganz hingerissen von der Mischung hübscher Figuren aus Großmutters Zeiten und moderner Kreuzwegbilder aus Steinen. Das gesamte Dorf sieht aus, als wäre die Zeit stehen geblieben. Außerdem ist es Autofrei und besitzt die Auszeichnung „Ville fleuri“ mit zwei Blumen. Das ockergelbe Dorf mit seinen hellblauen Fensterläden gefällt uns, aber unsere Reise geht trotzdem weiter.
Auf dem Weg nach Aregno begegnen uns immer wieder Friedhöfe mit großen, weißen Mausoleen. Auch die Église de la Trinité befindet sich inmitten eines Friedhofs. Der Kapellenbau aus mehrfarbigen Granit und breitem Türsturz ist dekoriert mit vielen Figuren, die ihre Geschichte erzählen. Sie sollte wieder ein Highlight unserer Reise sein – und das darf doch nicht wahr sein, aber auch diese Kirche ist aufgrund von Renovierungsarbeiten verpackt, sodass fast alle Details verdeckt sind. Jetzt sind wir aber schon a bissi sauer!
Daher fahren wir weiter bis auf 500 m den Berg hinauf, nach Sant´Antonino. Hier ist es auch möglich, sich auf dem Rücken eines Esels den Hügel rauftragen zu lassen – wirklich! Die Häuser wurden rund angelegt und auf gepflasterten Gassen laufen wir wie in einem Labyrinth durch überwölbte Gänge. Irgendwann landen wir auf einer Aussichtsterrasse, von wo wir einen 360° Panoramarundblick in die Balagne haben.
Bei schönstem Abendlicht und korsischen Klängen treten wir die Rückreise an.