Etwas verspätet brechen wir auf, weil unser Auto – Gott sei Dank noch direkt vor dem Hotel – wieder zu „schreien“ beginnt. Nachdem wir den Kühlertank aufgefüllt haben, starten wir zum zweiten und letzten Versuch, die Wanderung zum Risco-Wasserfall zu machen.

Die Fahrt bis Santa Cruz verläuft reibungslos und schnell. Kein Wunder, es ist Sonntag und es sind sehr wenig Autos unterwegs. Einige Kilometer aber danach spaziert ein Straßenarbeiter neben der Fahrbahn und deutet, dass wir die Geschwindigkeit reduzieren sollen. Nach der Kurve wissen wir dann auch, warum – ein Unfall! Kein Wunder bei diesen mörderischen Auffahrten und der Fahrweise der Einheimischen. Die Lichtverhältnisse sind heute auch nicht besonders. Die tiefstehende Sonne und abwechselnd die relativ dunklen Tunnels fordern vollste Aufmerksamkeit beim Fahren. Keine zweihundert Meter weiter stehen wir wieder. Das gibt es doch nicht, der nächste Crash. Nachdem wir die Stauzone hinter uns haben, geht es aber wieder problemlos weiter.

Als hätten wir mit der Wetterfee einen Pakt geschlossen, ist heute nirgends eine Regenwolke zu sehen. Schöner blauer Himmel begleitet uns über den Encumeada Pass. Er stellt die Verbindung von Süden nach Norden her. Wir biegen aber Richtung Westen ab. Im Jahr 2000 wurde der Encumeada-Tunnel eröffnet und seitdem benutzen fast nur Touristen die Passstraße. Und wirklich – auch heute sind nicht viele Autos auf der schmalen, holprigen Straße unterwegs.

Wir erreichen auf 1.300 Meter die Hochebene Paúl da Serra. Die Landschaft erinnert an das schottische Hochmoorland. Die spärliche Vegetation, wie Ginster, Adlerfarne oder Gräser,  hält das raue Klima hier aus. Hier oben grasen große Rinderherden auf den hügeligen Weiden. Da heißt es aufpassen, denn Zäune gibt es keine und die Rindviecher laufen auch auf der Straße herum. Sie gucken uns mit ihren großen, dunklen Augen an. Eine Kurve weiter haben wir das Gefühl, als befänden wir uns in einer anderen Welt. Von der Sonne rosa gefärbte Wolken steigen auf und der Wind wirbelt die rote Erde durch die Luft. Paúl da Serra ist wichtiges Auffangbecken für Regenwasser, das über Levadas verteilt wird. Neben dem Wasser sorgen viele Windgeneratoren für Energie. Majestätisch bewegen sich die Flügel der Windräder, die hier wie aufgefädelt stehen. Untypisch für Madeira fahren wir Abschnittsweise auf schnurgeraden Straßen. Sie sind zwar geflickt wie Fleckerlteppiche, aber wir kommen trotzdem ohne Hindernisse voran.

Kurz vor Mittag erreichen wir den Parkplatz, der 2 km oberhalb von Rabaçal liegt. Wir machen uns zum Wandern bereit und schlendern dann die asphaltierte Straße bis zum Ort hinunter. Es würde auch einen Pendelverkehr nach Rabaçal hinunter geben, aber wir sind noch fit und wanderlustig.  Die zwei Kilometer lange, autofreie Straße führt durch ein Waldgebiet und ist auch schnell geschafft.

Ein breiter Stufenweg führt bis zum Forsthaus und von dort zeigen die Wegweiser zu den Wanderwegen „Risco-Wasserfall“ und „25 Fontes“. Wir entscheiden uns dafür erst die längere, anstrengendere Wanderung zu machen, zu den 25 Fontes. Anfangs müssen wir viele, viele Stufen bergab steigen und hier stauen sich schon die Leute aufgrund der bergauf schnaufenden Wanderer.

Schnellen Schrittes passieren wir aber diese Engstelle und befinden uns dann in einer mystisch wirkenden Welt. Moose und Farne überwuchern die Felswände und Flechten hängen wie Bärte von den Bäumen herunter. Sie sind Zeichen dafür, dass die Luft hier sehr sauber ist. Der violett blühende Storchenschnabel gibt dem vielen Grün farbige Akzente. Ruhig plätschert das kristallklare Wasser in der Levada neben uns und immer wieder wird sie gespeist von Rinnsalen, die von hoch oben kommen. Die Gegend gleicht wahrlich einer verwunschenen Märchenlandschaft. Lange Zeit wandern wir durch dichten Lorbeerwald bis wir eine steinerne Brücke erreichen. Nach der Überquerung und einem Anstieg über steile Treppen wird es abenteuerlich. Die Levada hat hier einen völlig anderen Charakter angenommen. Die Mauern sind höher gebaut, sodass das Wasser jetzt auf Kniehöhe neben uns fließt. Außerdem ist der Fußweg nur noch knapp 40 cm breit. Wir benutzen den Rand des Kanals als Reling, denn es gibt keine andere Absicherung. Nur gut, dass das üppige Grün den Blick in die Tiefe etwas mildert – und hier geht es sehr, sehr tief hinunter. Wir konzentrieren uns zwar auf den schmalen Steig, aber aufgrund der vielen Wanderer müssen wir oft ausweichen. Wir haben aber auch nicht das Bedürfnis in das kalte Wasser der Levada zu springen.

Eine Zeitlang führt der Weg so durch die atemberaubende Natur. Nach einer knappen Stunde erreichen wir das halbrunde Becken, wo in der Mitte ein großer Wasserfall und an beiden Seiten mehrere kleine herabfallen. Je nach Jahreszeit sind es mehr oder weniger, aber heute sind es mehr als 25 Fontes. Mindestens genau so viele Wanderer bevölkern das Gebiet rund um das Becken.

Es ist echt schwierig ein brauchbares Foto zu machen, auf dem  mal kein Kopf oder keine Hand zu sehen ist. Daher genießen wir erst mal das Naturschauspiel und warten ab, bis die Menschenmassen weniger werden.

Hungergefühl kommt auf und wir tun es vielen anderen gleich und machen es uns auf dem trockenen Ausläufer des Bachbettes bequem. Die von der Sonne aufgeheizten Steine sind am Hintern sehr angenehm. Das Massenpicknick ist von vielen Madeira-Buchfinken nicht unbeobachtet geblieben. Sie sitzen auf den Ästen oberhalb der Menschen oder direkt vor ihnen auf den Steinen und lauern, ob etwas Fressbares für sie abfällt. Franzosen, die gegenüber von uns sitzen, werfen den Vögeln Chips zu und husch sind die knusprigen Stücke in ihren Schnäbeln verschwunden.

Von uns gibt es nur Apfelstücken und siehe da, die gesunden Dinge mögen sie nicht. Einer von ihnen kann nicht glauben, dass das alles ist, was wir im Rucksack haben. Mutig kommt er immer näher und dreht das Kopferl nach allen Seiten. Das wäre wieder ein fähiger Kandidat für Heidi Klum! Als die nächsten Touristen  ihre Vorräte auspacken, wird auch da nachgeguckt, was für sie abfällt. Echt süß, die kleinen Geschöpfe mit ihrem schönen Gefieder.

Gestärkt machen wir uns wieder auf den Rückweg. Ein guter Zeitpunkt, denn schon nach wenigen Metern kommt uns eine Horde entgegen, die sich schon mit lauter Musik aus einer tragbaren Stereoanlage ankündigt. Kaum zu verstehen,  warum man so eine wunderschöne Stimmung mit Discomusik zerstören muss. Wir kämpfen uns wieder entlang der Levada zurück. Es wäre beinahe empfehlenswert, Verkehrsampeln oder Vorrangschilder aufzustellen, damit die vielen Wanderer aneinander vorbeikommen. Stellenweise gibt es Ausweichstellen, aber aufgrund des Massenaufkommens geht es nur langsam voran. Erst als der Weg nach der Brücke wieder breiter wird, schaffen wir das letzte Stück rascher. Etwas außer Atem erreichen wir die Gabelung, an der es in die andere Richtung zum Risco-Wasserfall geht. Im Gegensatz zur bereits hinter uns liegenden Wanderung sind diese 0,9 km ein gemütlicher Spaziergang.

Schon aus der Entfernung hören wir das Rauschen des Wassers. Zwei Wasserfälle vereinen sich und ihre Wassermassen stürzen aus 100 m Höhe in die Tiefe hinab. Durch den tollen Lichteinfall wird uns hier ein beeindruckendes Schauspiel geboten. Wasser fließt von allen Seiten über die Felsen, als hätte man eine Raindance-Dusche aufgedreht. Einfach wunderschön! Ab hier ist die Wanderung zu Ende, denn die Levadamauern sind sehr brüchig und beschädigt. Der Tunnel, der direkt unter dem Wasserfall durchführt, ist bereits mit einem Gitter versperrt. Nur schwer können wir uns von diesem schönen Ort trennen, aber wie heißt es „alles hat ein Ende…“.

Wir lassen die letzten Stunden Revue passieren, während wir zum Forsthaus zurück schlendern. Es ist kurz nach 14:00 Uhr, als wir dort ankommen. Den Rückweg fahren wir aber mit dem Shuttledienst, um wieder ein wenig durch zu schnaufen.

Wir halten uns am Parkplatz aber nicht lange auf, sondern fahren auf der Straße Richtung Norden weiter. Bei einem Miradouro bleiben wir stehen, weil man von dort einen weiten Blick in alle Richtungen hat. Wir beobachten den Rundflug von Schwalben und auch einen Adler auf Beutejagd können wir erspähen.

Lange Zeit befinden wir uns allein auf der Straße, nein, nicht ganz richtig, die Kühe sind ja auch noch da. Die einen fressen gemütlich, einige sonnen sich nur und andere stehen auf der Straße und machen den Touristen das Fahren schwer. Nicht nur, weil man aufpassen und ihnen ausweichen muss, sondern weil die Straßen auch gespickt sind mit ihren Kuhfladen.

Wir erreichen die Einfahrt zu Porto Moniz. Auf einem Parkplatz auf der Anhöhe halten wir kurz, weil man von dort oben einen wunderschönen Blick hat auf den gesamten Ort. Noch vor zehn Jahren war Porto Moniz ein kleiner Fischer- und Bauernort, hat sich aber nach und nach zu einem beliebten Badeort entwickelt. Hauptattraktion sind zweifellos seine Meeresschwimmbecken, die von bizarren Lavafelsen umgeben sind. Vor hunderttausenden von Jahren formten vulkanische Schlackenbänder ein halbrundes, seichtes Becken, deren kristallklares Wasser durch die Flut ständig ausgetauscht wird. Wie weiße Milch sieht von hier oben die Gischt aus, wenn sie gegen die schwarzen Felsen peitscht.

Weinfelder ziehen sich zwischen den Häusern den Hang hinauf. Der gesamte Ort macht auf uns den Eindruck, als wären die Häuser fast alle neu gebaut. Außerdem sind sie größer, als wir sie aus den anderen urigen Fischerdörfern kennen. Tatsächlich wurden mit dem Aufschwung des Tourismus viele Hotelanlagen gebaut. Im rechten Teil des Ortes befindet sich sogar ein Hubschrauberlandeplatz. Unmittelbar daneben regelt ein großer Kreisverkehr das Verkehrsaufkommen. Heute ist nicht viel los, es ist ja Wochenende.

Im Zentrum befindet sich ein großer, kostenloser Parkplatz. Wir schlängeln uns die Serpentinen hinunter und parken dort. Für eine komplette Besichtigung des Ortes sind wir heute nicht mehr aufgelegt und daher schlendern wir entlang des Kais. In einer Bar kaufen wir uns ein Eis und machen es uns auf der Mauer der Promenade am Meer gemütlich.

Als würden wir in einem Theater sitzen, bietet uns die Natur rundherum die perfekte Kulisse dazu. Direkt vor uns das kitschig aussehende türkisfarbene Meer mit der weißen Gischt. Links von uns können wir die Badegäste im Naturschwimmbecken beobachten. Von hier aus sieht es noch viel spektakulärer aus, als von oben.

Die Steine unter unseren Hintern sind ganz schön heiß. Diese warme Umgebung wird auch von den Eidechsen geliebt und im Nu wuseln viele um uns herum. Ah, auf unser Eis haben sie es abgesehen! Wollen wir mal nicht so sein. Die Waffeltüte von meinem Cornetto schmeckt ihnen. Mal sehen, wie es mit Schokolade aussieht. Das Magnum ist schon im Bauch verschwunden, aber auf dem Holzstiel klebt noch eine Menge Schokolade. Zaghaft probiert erst mal nur einer. Richtig süß, wie die kleine Zunge das süße Braun schleckt. Innerhalb weniger Minuten sind viele Neider da und jeder versucht das meiste zu erhaschen.

Eine ganz freche Echse will sich gleich das Holzstaberl mitnehmen und zerrt wie wild geworden daran. Als es merkt, dass das nicht zu schaffen ist, läuft sie Wolfgang über die Hand und zwickt ihn in den Finger. So jetzt ist es aber genug mit den Streitereien!

Wir spazieren wieder zum Auto zurück. Auf der Fahrt Richtung Hotel machen wir noch einen kurzen Abstecher in Seixal. Dort ist es aber wie ausgestorben und daher drehen wir bald wieder um und setzen unsere Fahrt fort.

Was wir nicht wissen ist, dass ein Teil der Strecke im Norden von Porto Moniz kommend nur durch Tunnel zu befahren ist. Die schöne Küstenstraße führt als Einbahnstraße nur von Santana kommend am Meer entlang. Echt schade. Dafür dürfen wir wieder durch die abenteuerlichen, schwarzen Tunnel mit den eingebauten Duschen fahren. Die Strecke ab São Vicente kennen wir ja schon und fahren sie, auch wegen der späten Zeit, relativ zügig. Streckenweise ist die Straße aber nur einspurig und in schlechtem Zustand. Vor Ponta Delgada müssen wir aufgrund des Gegenverkehrs ein Stück zurück schieben. Mich packt die pure Angst, denn es geht so knapp an die Felswand, dass ich schon um unser Leihauto fürchte. Bei einem Miradouro oberhalb des Ortes legen wir noch einmal einen kurzen Stop ein.

Ponta Delgada ist eine Streusiedlung auf einer Landzunge, die weit ins Meer ragt. Inmitten von Wein- und Gemüsefeldern wurden die Häuser erbaut und die Wallfahrtskirche liegt direkt am Meer. Die Landschaft ist sehr grün und die Pflanzen scheinen die Straße zuwuchern zu wollen. Ein kleiner, bewachsener Felsvorsprung ein Stück daneben bringt uns zum Lachen, denn darauf steht das Hinweisschild „RESTAURANTE“ und zeigt nach rechts direkt ins Meer. Nur wo ist es? Weit und breit kein Restaurant in Sicht!

Ab Ponta Delgada haben wir die anstrengenden Serpentinen geschafft. Jetzt geht es schnell zum Hotel zurück – denken wir zumindest. Denn ab da haben wir einen Schläfer vor uns, der gemütlich die Straße entlang schleicht und wir gezwungen sind, ihm nach zu zockeln. Überholmöglichkeiten gibt es hier nämlich nirgends.

Müde erreichen wir das Hotel und nach einer erfrischenden Dusche gönnen wir uns heute ein letztes Mal das Abendessen im hoteleigenen Restaurant. Ich bestelle mir noch einmal den schwarzen Degenfisch und Wolfgang probiert den Stockfisch. Der schmeckt zwar sehr gut, ist aber sehr intensiv. Bom Apetite!

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