Guten Morgen, wir fühlen uns ein wenig gerädert, denn das Schlafen im Wohnmobil inmitten der LKW´s war für uns gewöhnungsbedürftig. Im Unterschied zu den LKW-Fahrern, die schon längst über alle Berge sind, sitzen wir um 07:30 Uhr erst beim Frühstück. Zu Löskaffee haben wir uns Marmeladenbrote geschmiert und während wir essen, beobachten wir, wie die letzten Lastwagen den Parkplatz verlassen.
Eine Dreiviertelstunde später sind auch wir on the road again und vor uns liegen 05:30 Fahrt bis zu unserem Ziel, dem Städtchen Gisors im Norden Frankreichs. Bei trockenem Wetter fahren wir über Koblenz in einer sehr schönen flachen, landwirtschaftlichen Gegend. Ein riesiger Windpark liegt inmitten der Felder und Wiesen. Wir befinden uns im Gemüsegarten Rheinland-Pfalz, wo auf besten Boden- und Klimagegebenheiten die Kultivierung von Lauch, Salat, Fenchel, Kraut oder Mais besonders günstig ist. Fleißige Arbeiter sind schon am Werkeln und ernten oder puddeln neue Setzlinge in die schöne dunkle Erde. Wir sitzen im Wohnmobil sehr hoch und so haben wir einen guten Überblick von oben. Vom vielen Betrachten der Landschaft verpassen wir die Abfahrt Saarbrücken und müssen über Worms die knapp acht Kilometer zurückfahren.
Versuch zwei, wir fahren auf die Abfahrt Richtung Saarbrücken und fahren wieder auf die A6 für 107 km. Nach und nach werden die Gemüsefelder von den Weingärten verdrängt und wir kommen zur deutschen Weinstraße bei Rhein-Neckar. Der Verkehr ist sehr wenig und trotz der vielen Baustellen kommen wir zügig voran. Es sind schon sehr viele Franzosen unterwegs, schließlich rücken wir dem Land immer näher. Die ersten Sonnenstrahlen kämpfen sich durch die Wolkendecke und das macht die Fahrt beschwingter. Wir machen Fahrerwechsel, damit auch Wolfgang mal die Umgebung genauer betrachten kann – wenn er sich nicht fürchtet bei meinen Fahrkünsten. Die Reise führt uns jetzt durch endlose Mischwälder, hier hat man die Autobahn inmitten des Baumbestandes geschnitten. Er Herbst hält langsam Einzug und es sind erste braune Blätter zu sehen.
Auf einem Hinweisschild lesen wir Paris, erreichbar in 437 km, doch wir müssen an der Stadt nördlich vorbei noch weiter in den Westen. Bei Saarbrücken sind die Schilder dann schon zweisprachig und um 09:45 Uhr passieren wir den Grenzübergang zu Frankreich. Nur wenige Kilometer weiter erwartet uns schon die erste Péage und wir sind 7,20 Euro los. Frankreich begrüßt uns mit blauem Himmel und Schäfchenwolken und unsere Fahrt führt wieder durch grünes Gebiet mit Farbklecksen der rosaroten Malve, pinken Blutweiderich, weißem Bärenklau und gelber Goldrute und Johanniskraut. Vermehrt passieren wir nun Weiden, wo die dunkelbraunen oder schwarz-weiß gefleckten Kühe grasen oder schlafen. Auf den gemähten Wiesen liegen die dicken Ballen herum, die erntebereiten Sonnenblumen lassen die schweren Köpfe hängen und die tiefroten Hagebutten der Wildrosen leuchten in der Sonne.
An der Gabelung Metz – Paris nehmen wir die Autobahn A4 Richtung Paris. Während wir gemütlich dahinfahren, die Gegend betrachten, sehen wir plötzlich Rauch auf der Gegenfahrbahn. Als wir näherkommen, sehen wir, dass ein Auto in die Leitplanken gefahren ist. Die Vorderreifen fehlen komplett und der Fahrer klettert gerade aus dem Wrack. Uns läuft die Gänsehaut über den Rücken und wir müssen aufpassen, denn Reifenfetzen und Plastikteile liegen auch auf unserer Seite verstreut auf den Fahrbahnen.
Wir passieren immer wieder kleine Orte, die eingebettet inmitten der Wälder liegen. Nach Wald und Besiedlungen folgen wieder weite Ackerflächen, wo die rote Erde im Vormittagslicht hell erstrahlt. Viele Wildvögel machen Rast auf den Zaunpfählen oder genießen die warme Sonne. Auffällig ist der wenige Verkehr auf der Autobahn, entweder weil Wochenende ist oder weil den Franzosen die Maut auf der Autobahn zu teuer ist. Gut für uns, denn wir kommen so schnell vorwärts.
Wir kreuzen die Ligne Maginot, wo ein Bunker neben dem anderen die französischen Grenzen zu Deutschland, Italien, Belgien und Luxemburg verteidigte. Infotafeln erinnern an die Invasionen des Ersten Weltkrieges in der Normandie. Heute herrscht eine beschauliche Ruhe und das soll hoffentlich für immer so bleiben. Den Parc Naturel Régional de Lorraine lassen wir hinter uns und erreichen Verdun. Es ist grad mal hundert Jahre her, dass hier im Februar 1916 eine der verlustreichsten Schlachten stattfand. Sie ging von den deutschen Truppen aus, die aber schlussendlich ohne Erfolg blieb.
Zu Mittag legen wir eine Pause am Parkplatz Aire de Jubécourt ein, der versteckt hinter einer grünen Hecke abgeschirmt von der Autobahn liegt. Er ist ausgestattet mit modernen, sauberen Klos und einer großen Müllentsorgungsstation. Für die, die es nicht verstehen, wird auf großen Schildern bildlich dargestellt, was in welche Box einzuwerfen ist. Grünflächen mit Picknicktischen und ein Spielplatz laden zum Rasten, Spazierengehen und Spielen ein. Nach dem Klobesuch essen wir eine Kleinigkeit und vertreten uns ein wenig die Füße. Die warme Sonne tut gut im Gesicht und nach einem kurzen Sonnenbad setzen wir die Fahrt fort. Es liegen noch genau drei Stunden vor uns und wir freuen uns schon, wenn wir am Ziel sind.
Hinweisschilder machen uns darauf aufmerksam, dass wir uns gerade im Champagne-Ardenne-Gebiet befinden, aber anstelle von Weingärten bekommen wir weit und breit nur Rübenfelder zu sehen. Viele Kilometer weiter kommen wir dann schon Richtung Marne-la-Vallée, wo Micky Mouse und Donald zuhause sind. Auch den Parc Astérix lassen wir links liegen. Sorry – dafür haben wir aber heute kein Geld mehr, denn auf den vielen Péage-Stellen sind wir schon knapp fünfzig Euro losgeworden. Die Nähe zu Paris macht sich jetzt auch im Verkehr bemerkbar, der immer dichter wird. Wir nehmen die Ausfahrt Nogent auf die A86, fahren von einem Tunnel in den nächsten und landen dann im Stau. Die Ursache war ein LKW, der ein Auto „geküsst“ hat. Ein Blick in den Rückspiegel zeigen uns die Hochhäuser des Stadtteils La Défense, den wir von einem Parisurlaub schon kennen. Wir nehmen die Ausfahrt auf die A15 Richtung Cergy – Pontoise. Wir begegnen der skurrilen Tatsache, dass überall soviel Müll herumliegt und dann begegnen wir wieder Schildern mit der Frage, ob man zuhause auch alles einfach so wegwirft oder dass die Straße kein Mistkübel ist. Es ist wirklich eine Schande, dass es Menschen gibt, wo das Hirn ausschaltet und dann einfach der Dreck aus dem Fenster geschmissen wird.
Eine letzte Tankfüllung und wir verlassen die Stadt in Richtung Normandie. Paris ist traurig, weil wir nicht hierbleiben und verpasst uns einen ordentlichen Schütter aus einer schwarzen Wolke. Einige Kilometer weiter – der Regenspuk ist wieder vorbei – fahren wir der Sonne entgegen. Mit einem Schlag wird die Landschaft wieder ländlicher mit idyllisch gelegenen Ortschaften entlang der tollen Überlandstraßen D915. Auf den frisch geeggten Feldern tummeln sich riesige Schwärme von Möwen und Raben.
Punkt 15:00 Uhr erreichen wir GISORS und parken unser Gefährt entlang einer Häuserzeile etwas außerhalb vom Stadtkern. Wir packen das Nötigste in den Rucksack und stapfen voller Erwartung los. Schon nach wenigen Schritten finden wir Gefallen und der Fotoapparat beginnt zu arbeiten. Die mit Kopfsteinen gepflasterten Gehsteige harmonieren schön mit den Häusern aus Backsteinen und Fachwerkfassaden. Viele davon dürften nur von außen schön sein, denn das Schild „A Vendre“ hängt auf so manchem Fenster. Gisors ist mit zwei von drei Blumen dekoriert – eine Auszeichnung, die vom Nationalrat der berühmten Städte und Dörfer im Rahmen eines Wettbewerbs verliehen wurde. Bevor wir mit unserem Rundgang starten, versorgen wir uns noch in einer Boulangérie mit einer warmen Quiche, die uns schon auf unseren Urlaub einstimmt. Dann widmen wir uns als erstes der Kirche Saint-Gervais-et-Saint-Protais mit ihrer beeindruckenden Fassade im Renaissance-Stil. Sie wurde auf den Resten einer alten Kirche um 1249 erbaut und im Laufe der Jahrhunderte immer wieder erweitert und umgebaut, sodass sie heute viele Stile vereint und eine beachtliche Größe von 70 m Länge aufweist. Der Turm ist reich geschmückt mit Figuren, Ornamenten, Säulen und Balkonen und auch über dem Eingangsportal ziert ein imposanter Triumphbogen mit Reliefs die Fassade. Viele tolle Wasserspeier ragen aus der Fassade und ich liebe ja diese Fantasiefiguren. Während wir unseren Blick über die Fassade wandern lassen, dringt Gospelmusik zu unseren Ohren und die zieht uns magisch ins Innere. Hier übt gerade ein Chor, gekleidet in goldenen Roben das Happy Day für die Marriage von Céline & Brice. Auch einen Dudelsackpfeifer entdecken wir in der Gruppe. Der schöne Gesang begleitet unseren Rundgang durch die fünfschiffige Kirche, die sehr hell gestaltet ist und aufgrund ihrer Höhe von 24 m bis in den Himmel hochragt. Aufgrund der Schlichtheit des Innenraums stechen die drei Säulen hervor, über und über mit Reliefs bestückt. Auch der Stammbaum Christus, der Jessebaum mit den Relieffiguren, ist ein wahres Kunstwerk. Eine typische Wendeltreppe der Renaissance klebt in einer Ecke und führt zur Orgel hoch. Im Querschiff existieren noch Reste eines Trauerbandes aus dem 18. Jhdt. mit zwei Familienwappen, die an verstorbene Personen erinnern sollen. Das Ensemble wird komplettiert von imposanten Kirchenfenstern, von denen das graubraune hervorsticht, das der Heiligen Jungfrau gewidmet ist. Die Kirche gilt seit 1840 als historisches Denkmal und obwohl sie 1945 restauriert wurde, würde sie heute wieder eine Erneuerungskur benötigen, denn die Fassade an der Rue Dauphine ist kohlrabenschwarz. Vor der Kirche versammelt sich mittlerweile die Hochzeitsgesellschaft und wir hätten der Trauung gerne beigewohnt, aber vom Bräutigam fehlt noch jede Spur. Der Pfarrer begrüßt Céline in ihrem hübschen Mermaid-Kleid und die eleganten Hochzeitsgäste und wir machen uns wieder auf den Weg. Wir wünschen noch alles Gute und einen schönen Hochzeitstag.
Am Ende der Rue Dauphine kommen wir zur Rue de Vienne, wo sich ein Fachwerkhaus aus dem 15. und 16. Jhdt. ans nächste reiht. Sie beherbergen kleine Läden, Boutiquen, Coiffeur und Bars. Große Teile von Gisors wurden während des Zweiten Weltkriegs zerstört, dennoch dokumentieren einige Stadtteile noch das mittelalterliche Flair. Ein Zeugnis davon ist die Passage du Monarque, die im 12. Jhdt. Hauptzugang zur Burg gewesen ist. Wir betrachten die pittoresken Häuser während wir die Rue de Vienne entlang schlendern. An der Kreuzung zur Rue de Penthièvre biegen wir ein es geht´s den Hügel hoch und wir erreichen die Reste der Burg. Sie wurde auf einem künstlich angelegten Hügel im 11. Jhdt. im Auftrag des Herzogs der Normandie errichtet und im 12. Jhdt. erweitert. Gisors ist an der alten Römerstraße gelegen und war wichtiger Stützpunkt für die Verteidigung im Norden des Landes. Mehrmals wurden hier Friedensverträge zwischen Frankreich und England unterzeichnet. Die Burg wird im Hundertjährigen Krieg zu einer Festung ausgebaut und schwer umkämpft. Als sie schließlich wieder in der Macht der Franzosen war, wurde sie zum Sitz des Königs und mit Wirtschaftsgebäuden und einer Festungsmauer erweitert. Im Jahr 1591 wurde sie stillgelegt und gehört heute zu den historischen Monumenten.
Der achteckige Wehrturm thront noch heute auf einem Erdhügel und die Flagge der Normandie weht elegant im Wind. Im Burghof hat man einen hübschen Garten angelegt, wo gerade Sonnenblumen, Schmuckkörbchen, Tagetes und viele andere Blüten in voller Pracht blühen. Lauschige Bänke laden ein zum Verweilen und das machen wir auch. Von hier haben wir eine schöne Sicht auf die Kirche, das Dächermeer der Stadt und auf Ziegen, die gemütlich grasen. Sie helfen mit das Ökosystem aufrecht zu erhalten, indem die Tiere die Wiesen ohne Einsatz von Maschinen mähen. Schilder informieren davon und bitten, die grasenden Tiere nicht zu betatschen. Die Kids der verschiedenen Hochzeitsgesellschaften, die hier ihre Fotosessions machen, haben ihre Freude daran. Der große Park mit dem alten Baumbestand ist wirklich ein Highlight von Gisors und wird von Jung und Alt genutzt. Wir nutzen die Zeit, um ein wenig im Reiseführer nachzulesen und die warme Sonne zu genießen.
Dann spazieren wir wieder zur Rue de Vienne hinunter und schlendern diese noch ein Stück entlang bis zum Kreisverkehr, der über dem Fluss Epte liegt. Den Rückweg nehmen wir über die Rue des Frères Planquais, die entlang des Flusses führt und abwechselnd mit steinernen Sitzbänken und Blumenbeeten flankiert ist. Die Straße auf der anderen Seite der Epte ist benannt nach den Gerbern, die zu Beginn des 14. Jhdts. der Stadt einen wirtschaftlichen Aufschwung bescherten. Die Gastgärten der Brasserien sind voll und die Leute lassen den Feierabend mit Snacks und Drinks gemütlich ausklingen. Das nennt man „Savoir-Vivre“, sie verstehen zu leben.
Kurz nach 18:00 Uhr langen wir wieder beim Auto an und setzen unsere Fahrt fort Richtung Neufchâtel. Dabei passieren wir wieder viele malerische Orte, eingebettet in einer landwirtschaftlichen Landschaft. Kleine Häuschen aus Holz, Backsteinen oder Fachwerk, davor ein Minigarten mit üppigem Blumenschmuck, umzäunt von einem Holzgatter, das alles schaut so hübsch aus. So manches Haus wurde verlassen und seinem Schicksal überlassen, übriggeblieben sind nur die blühenden Rosenbüsche und Hortensienbüsche. Wiesen, Felder und Kuhweiden wechseln sich ab und vermitteln eine beschauliche Stimmung. Die schöne Abendsonne begleitet unsere Fahrt und setzt die Umgebung in ein tolles Licht.
Wir folgen dem Straßenverlauf der D915 und in Nesle Saint-Saire finden wir einen schönen Stellplatz. Nur wenige Schritte davon entfernt befindet sich in einem alten Bahnhofsgebäude das „Au Quai gourmand“, doch leider hat das Restaurant noch bis 7. September geschlossen. Wir gucken durch die Fensterscheiben und jetzt tut es uns noch mehr leid, dass es zu hat, das wäre ein netter Abschluss gewesen.
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