Nach einer fast schlaflosen Nacht aufgrund des Schnarchers im Nachbarzelt fällt das Aufstehen und Zusammenpacken ein wenig schwer. Es ist anfangs sehr windig, aber gegen 10:00 Uhr steigt die Temperatur bereits auf 22°.
Wir sind unterwegs nach Bergen und freuen uns, weil wir für die Tollroad heute nichts bezahlen müssen – ein Sonntagsgeschenk sozusagen! Deshalb nehmen wir es mit Gelassenheit, im Bergener Autobahnnetz ein wenig spazieren zu fahren, weil wir die richtige Ausfahrt nicht finden. Nur gut, dass noch nicht viel Verkehr unterwegs ist.
Endlich finden wir den Hafen und einen Parkplatz, der uns nichts kostet, denn wir haben uns die Bergencard besorgt. Bester Laune machen wir uns auf den Weg mitten ins Geschehen.
Zwar hat ein Großfeuer im Jahr 1702 die mittelalterlichen Hansehäuser an der Bryggen allesamt zerstört, aber ihre meist Anfang des 18. Jhdts. erbauten Nachfolger zählen dennoch zu den schönsten Häuserzeilen in ganz Norwegen, die zu Recht auf der UNESCO-Liste der schützenswerten Weltkulturgüter stehen.
Im Jahr 1343 eröffnete der „Hanse“ genannte Bund meist norddeutscher Städte sein erstes Kontor in Bergen, in dem hauptsächlich Stockfisch von den Lofoten, Salz und Getreide aus Mitteleuropa umgeschlagen wurden. Dieser Handel war so lukrativ, dass an der Bryggen, dem besten Teil des Hafens, bald ein nur von Deutschen bewohntes Viertel entstand. Zur Blütezeit der Hanse waren von den 10.000 Einwohner Bergens gut ein Fünftel Deutsche. Die deutschen Kaufleute sicherten sich viele Privilegien, die ihnen gegenüber ihren norwegischen Kollegen wichtige Wettbewerbsvorteile verschafften, aber auch der Neid ihrer Konkurrenten schürten. So musste die Hanse diverse norwegische Versuche abwehren, ihre Sonderrechte drastisch zu beschneiden – bisweilen sogar unter Androhung von Waffengewalt. Bereits im 16. Jhdt. begann der allmähliche Niedergang des Hansekontors in Bergen und 1764 waren alle Handelshäuser der Stadt in norwegischer Hand.
Mit ihren leuchtenden Farben steht Haus an Haus und auch heute ist noch das Flair der früheren Zeit spürbar. Die kleinen Geschäfte und Cafés, die in diesen alten Holzhäusern untergebracht sind, laden uns zum Verweilen ein. Am Torget – dem Marktplatz – haben die Händler ihre Stände aufgebaut. Wir schlendern von einem zum anderen und uns läuft beim Anblick das Wasser im Mund zusammen. Da gibt es neben vielen anderen Sorten Obst riesige dunkelrote Moreller (Kirschen). Ich glaube der Preis ist der Größe der Früchte angepasst… Auch Blumen und allerlei touristischer Ramsch wird angeboten. Das Highlight des Marktes sind aber die vielen Fische, Muscheln und Krustentiere. Auch wir können dem Duft nicht widerstehen und kaufen uns köstliche Lachsbrötchen.
Gleich neben dem Markt schaukeln im Hafenbecken riesige, beeindruckende Schiffe und Yachten.
In der Domkirke lauschen wir eine Weile der Messe, die gerade zelebriert wird. Wir verstehen natürlich kein Wort und das Gequassel hört sich an, als würde man eine Märchenkassette verkehrt abspielen! Außerdem fällt uns auf, dass es hier auch sehr wenig Kirchgeher gibt, denn grob gezählt, sitzen etwa vierzig Personen vereilt in den Bänken. Die Kathedrale stammt aus dem 12. Jhdt. und wurde mehrfach umgebaut, sodass sie heute eine Mischung verschiedener Baustile darstellt. Hinter dem Altar wird ein großes, buntes Fensterbild von der Sonne angestrahlt, sodass der Raum in den schönsten Farben leuchtet.
Nach dem Besuch der „Sonntagsmesse“ spazieren wir durch die schmalen Gassen der Altstadt zur Fløyban. Die 1918 eröffnete Standseilbahn führt uns in nur acht Minuten auf den 320 Meter hohen Hausberg Floy. Von hier oben hat man einen weiten Ausblick auf den Fjord, die verschiedenen Häuserzeilen und das verknotete Autobahnsystem Bergens. Nachdem wir die schöne Aussicht eine zeitlang genießen, machen wir es uns auf einer Bank bequem und verzehren unser Picknick.
Als Bergen im Mittelalter norwegische Hauptstadt wurde, entstand in der Stadt ein erster, Bergenhus genannter, und noch aus Holz erbauter Königshof. Während des 13. Jhdts. wurde dieser zu einer steinernen Festung ausgebaut. Der älteste Teil der noch heute erhaltenen Anlage ist die Håkonshalle, die zwischen 1247 und 1261 von König Håkon IV erbaut wurde. Bei der Explosion des holländischen Munitionsschiffes im Jahr 1944 wurde sie vollständig zerstört. Zum 700-jährigen Bestehen der Stadt 1961 wurde sie wieder originalgetreu aufgebaut. Heute dient sie als stimmungsvoller Konzertsaal mit Kunstgalerie. Wir schließen uns einer Führung an, bei der wir die verschiedenen Wohnräume, den Aussichtsturm und sogar den Kerker besichtigen dürfen.
Tief beeindruckt verlassen wir nach einer Stunde das Gebäude und gehen zum danebenliegenden Rosenkrantztårn. Dieser fiel derselben Explosion wie die Håkonshalle zum Opfer. Benannt wurde der ebenfalls wieder aufgebaute Turm nach dem dänischen Stadthalter Erik Rosenkrantz.
Einige Kilometer vom Kern Bergens entfernt – im Vorort Paradis – steht die Stabkirche von Fantoft. Im Jahr 1883 kaufte ein reicher Bergenser die ursprünglich am Sognefjord beheimatete Kirche und ließ sie auf sein Privatgrundstück „verpflanzen“. 1992 brannte sie jedoch vollständig nieder, wurde aber inzwischen in alter Schönheit 1997 wieder aufgebaut. Eine Kirche im alten Stil gebaut mit neuem Holz sieht irgendwie eigenartig aus. Bis ins kleinste Detail ist sie nach Originalplänen erreichtet. Zu unserer Freude dürfen wir hier Fotos auch vom Inneren machen und die Schnitzereien mit den Fingern befühlen.
Nur acht Kilometer entfernt liegt Troldhaugen, das Sommerdomizil des Komponisten Edvard Grieg, am Nordhås-See. Das anheimelnde Holzhaus ist noch genau so erhalten, wie es 1907 war, dem Todesjahr von Grieg. Auch das Klavier des Tondichters im gemütlichen Wohnzimmer ist noch voll funktionsfähig. Erst sind wir fast allein im Haus unterwegs und können in Ruhe die einzelnen Räume mit den alten Einrichtungsgegenständen und den vielen Bildern bestaunen. Doch dann kommt eine Riesenhorde, verstellt die Sicht und ein Lärm entsteht, dass man sein eigenes Wort nicht mehr versteht. Übrigens, der Herr Grieg hatte eine verblüffende Ähnlichkeit mit Einstein, mit seinem struppigen weißen Haaren und dem ungepflegt wirkenden Schnauzbart!
Den Abschluss des Tages soll die Insel Lysøy machen, die südlich von Bergen liegt. Dort ließ sich der Geiger Ole Bull inmitten eines Parks ein Sommerhaus im Stil der Alhambra erbauen. Es vermischen sich traditioneller norwegischer Holzbau mit maurischer und russischen Stilelementen. Das Gebäude ist nur erreichbar mit einem Pendelboot. Um mit der letzten Fahrt noch mitzukommen müssen wir uns sehr beeilen. Obwohl wir die schmalen Serpentinen hinunterrasen wie Niki Lauda in seinen besten Jahren, verpassen wir das Boot um nicht mal fünf Minuten. Wie zwei begossene Pudel stehen wir am Hafen und schauen dem Boot nach. Durch das Fernglas sieht man ganz gut die Umrisse des Hauses in der untergehenden Sonne.
Gegen 17:00 Uhr sind wir wieder on the road again, weg vom beeindruckenden Bergen – ich habe sie zu meiner persönlichen Lieblingsstadt Norwegens erklärt!
Am Campingplatz in Mo schlagen wir unser Zelt auf und genießen die warme Abendsonne. Doch schon nach kurzer Zeit – wie kann es anders sein – zeigen sich erste schwarze Wolken am Himmel und es dauert nicht lange, bis kräftiger Wind aufzieht, es zu blitzen und donnern beginnt und es dann ordentlich zu schütten anfängt. Ein gutes hat die ganze Sache allerdings doch – es ist die erste Nacht, in der es endlich wieder einmal dunkel wird!