Eine geschlossene Wolkendecke zeigt sich am Horizont, aber es regnet nicht mehr! Da erscheint die Landschaft wieder in seiner Schönheit; auf beiden Seiten Berge, reißende Bäche, Seen, Felder von den fuchsiafärbigen Heidenröschen und verstreut kleine, bunte Holzhäuser – was wünscht man sich mehr!
Bei einer kurzen Fahrtpause finden wir in der Nähe der Parkfläche viele süße Walderdbeeren, die am Fuße von blühenden Lupinen wachsen. Inmitten des Lårdals befindet sich die Stabkirche von Eidsborg und kaum eine Kirche ist so sagenumwoben wie diese. Die Meinungen über den Standort der Kirche gingen weit auseinander, aber schließlich fiel die Wahl auf einen Ort, der Kirchental heißt. Als die Arbeit begann, waren die Bauleute jedoch hinsichtlich der Lage immer noch unterschiedlicher Meinung. Eines Abends legten die Arbeiter ihr Werkzeug hinter einem großen Stein ab, den sie den Kirchenstein nannten. Am nächsten Morgen war das Werkzeug verschwunden. Nach langem Suchen wurde es wiedergefunden – an der Stelle, an der die Kirche heute steht. Da war es jedem klar geworden, dass höhere Mächte eingegriffen hatten. Aber neue Schwierigkeiten tauchten auf: wie sollte es ihnen hier, wo es so steinig war, gelingen, einen Friedhof anzulegen? Zwei junge Mädchen aus der Gemeinde waren zum Tode verurteilt worden, möglicherweise wegen Kindesmord. Sie erhielten eine Chance, ihr Leben zu retten.
Wenn sie genügend Erde für einen Friedhof herbeischaffen könnten, sollte ihnen die Strafe erlassen werden. Jedoch unter der Bedingung, dass sie die Erde in ihren Schürzen transportieren mussten. Natürlich gelang ihnen das Unmögliche und so mancher ihrer Mitbewohner endete viel früher als sie selbst unter der Erde. Lüge oder Sage? Es gibt jedoch zu denken, dass die Friedhofserde von einer ganz anderen Beschaffenheit ist als die übrige Erde in ihrer direkten Umgebung. Ja, so soll es also zugegangen sein, als die Eidsborg Stabkirche gebaut wurde – wahrscheinlich um 1250 – eine der letzten Stabkirchen, die gebaut wurde, bevor die Pest 1349 ihren grausigen Einzug hielt.
Wie die meisten Stabkirchen ist auch diese aus riesigen Kernholzkiefern aus der Umgebung gebaut worden. Die Kirche, einschiffig und von einem Svalgang umgeben, der im Süden, Westen und Norden wie eine dichte Wand wirkt, sieht von außen sehr groß aus. Dach, Pfeiler wie auch die Wände sind vollkommen mit Schindeln bedeckt. Von innen erscheint die Kirche eher klein. In alle vier Eckmasten, die auf großen glockenförmigen Basen ruhen, ist jeweils mit Runen ein Männername eingeritzt. Nicht genug der Sagen rund um die Kirche: seit dem frühen Mittelalter stand eine bemalte Holzskulptur des Heiligen St. Nicolaus in der Kirche. Sie trug ein Priestergewand und war so groß wie ein kleinwüchsiger zwölfjähriger Junge. In der Johannisnacht holte man ihn aus der Kirche und trug ihn hinunter zum Eidsborgtjønni. Nach einer gründlichen Waschung wurde Nicolaus dreimal um den Waldsee herumgetragen. Das Bad sollte die Vergebung der Sünden symbolisieren, aber es wird auch behauptet, dass es Nicolaus dazu bewegen sollte, den Bauern gute Ernten zu bescheren.
Unser nächstes Ziel ist die Heddaler Stabkirche in Borgund. Sie ist die größte der Stabkirchen Norwegens und liegt im Unterschied zu vielen anderen Kirchen nicht auf einer Anhöhe, sondern unten in der Ebene am Fluss Heddøla. Die der Jungfrau Maria geweihte Kirche ist wahrscheinlich um 1250 errichtet worden. Sie hat drei kleine Türme, einen auf dem östlichen Ende des Chors, einen mitten auf dem Chor und einen mitten auf der Kirche, in dem die Glocken hängen und der der größte ist. Nicht nur die Ausmaße der Heddal Stabkirche – Höhe 26 Meter, Länge 20 Meter – sondern auch die frühere reiche Ausstattung kündet von den Blütezeiten des Landes und der Gemeinde. Heute gibt es noch einen mittelalterlichen Stuhl in Pfostenkonstruktion, der im Chor steht, und den Altar von 1667 mit der Kreuzigung Christi und dem Abendmahl zu bewundern.
Wir haben gerade genug Zeit die Kirche von allen Seiten zu bestaunen, als es wieder wie aus vollen Fässern zu regnen beginnt. Während des ärgsten Ergusses sehen wir uns im Visitorcenter eine interessante Ausstellung über die vielen Umbauten der Kirche während des 18. und 19. Jhdts. an. Nachdem wir uns wieder ins Auto gerettet haben, essen wir provisorisch eine Kleinigkeit und begeben uns dann wieder auf die Fahrt in Richtung Oslo. Als wir in Haug auf dem Campingplatz ankommen, hat der Regen seine Tätigkeit eingestellt. Ist auch gut so, denn wir müssen alles aus dem Auto ausräumen und versuchen, wieder alles in unsere Taschen zu packen. Wir leisten uns noch einmal eine Hytte. Nach getaner Arbeit verzehren wir unsere letzten Lebensmittel, und bevor wir schlafen gehen, machen wir noch einen kleinen Spaziergang durch den Campingplatz. Dabei amüsieren wir uns köstlich über den vielen Kitsch, den sich die Dauercamper aufgebaut haben! An der Rezeption machen wir noch einen Blick in die Zeitung, um uns das Wetter für die nächsten Tage anzusehen. Die Prognose verspricht wechselhafte Tage – es bleibt also April!