Die vier Sterne des Hotels haben wir gesucht, aber nur am Himmel gefunden. Unser Zimmer ist sehr abgewohnt und auch beim Frühstück finden wir Mängel. Aber was soll’s – wir sind ja nur zum Schlafen im Hotel.
Der Regen ist wie weggeblasen, als wir um 06:00 Uhr aus den Betten steigen, uns fertig machen und uns zum Frühstücken auf die Terrasse setzen. Da die Sessel noch nicht ganz trocken sind, müssen wir danach unsere Hintern trockenföhnen, bevor wir uns mit unseren Koffern zur Rezeption begeben.
Der Hoteltransfer bringt uns zum Flughafen, die Straßen sind leer, dafür herrscht hier ein Sturm auf die Self-Service-Eincheck-Schalter. Wolfgang erklärt Antonia das Prozedere und gemeinsam scannen sie die Boardkarten ein, stellen einen Koffer nach dem anderen auf die Waage und drucken die Labels aus. Eine gute Übung für Antonia – schließlich geht’s nach unserem Urlaub für sie gleich weiter auf Sprachferien nach London.
Wir suchen uns das richtige Terminal und passieren den Security-Check. Antonia warnt uns gleich vor, dass der X-Ray bei ihr immer anschlägt und siehe da, es piepst schon.
Bis wir die Info bekommen, von welchem Gate wir abfliegen, suchen wir die Parfümerie auf und besprühen uns ein wenig. Plötzlich entdeckt Wolfgang, dass er den Zimmerschlüssel des Hotels noch in seiner Jackentasche hat. Jetzt müssen wir noch dem Hotel Bescheid geben, dass der Schlüssel mit auf Urlaub geht.
So, wir sitzen im Flieger der Brüssel Airline A319 und 01:25 Stunden Flugzeit liegen vor uns. Pünktlich um 09:25 Uhr heben wir ab und in wenigen Minuten befinden wir uns über den Wolken. Weil wir a bissi müde sind vom zeitigen Aufstehen, machen wir es uns in den Sitzen gemütlich und sinken ins Träume-Land. Es dauert aber nicht lange, da holen uns die vielen Kids, die rund um uns sitzen mit ihrem Gequengel, Gebrabbel und Weinen in die Wirklichkeit zurück.
Um 10:48 Uhr setzt das Flugzeug in Brüssel auf und der Pilot sagt, dass uns 23 Grad erwarten. Ja, super, das ist perfekt. Der Weg ist weit bis zum Laufband 3, wo wir unsere Koffer wieder in Empfang nehmen. Hier warten wir und warten und es rührt sich nix. Dann kommt die Durchsage, dass wir uns zum Band 1 begeben sollen und als das Band zu laufen beginnt, kommen unsere Koffer als erstes rein. Juchhe!
Schnurstracks vorbei an der Garde der Polizisten steuern wir den Ausgang an und da erwarten uns Menschenmassen mit Blumensträußen in der Hand. Wolfgang winkt gekonnt in die Menge, aber Blumen gibt´s für uns nicht. Ah die sind ja gar nicht wegen uns da!
Vor dem Taxistand müssen wir durch die leeren Warteschleifen, bis wir beim ersten Auto ankommen. Nach unserem Bonjour quasselt der Taxler gleich munter drauf los und wir müssen ihm in Englisch erklären, dass unser Französisch nicht so gut ist. Wir unterhalten uns dann aber die Fahrt über voll nett mit ihm und bekunden, dass wir beim Fußball zu ihnen helfen. Auf die Frage, woher wir sind, erklärt er uns, dass er schon einige Male durch unser Land gereist ist und er schon große Schnitzel gegessen und große Bier getrunken hat in Österreich. Er findet unser Land auch voll schön, aber das Wetter mag er nicht.
Im Altstadtzentrum von Brüssel hält er mitten auf der Straße und lädt unsere Koffer aus. In wenigen Schritten erreichen wir das „Aparthotel Adagio“ am Grand Place 20. Das Zimmer ist in warmen Farben gehalten – leider ist Antonias Couch-Bett schon ein wenig durchgelegen, aber für die paar Tage wird´s gehen. Wir haben auch einen Kühlschrank, Herd und Geschirr, aber nicht vor, irgendetwas zu kochen. Schließlich sind wir im Urlaub!
Unausgepackt lassen wir unsere Koffer im Zimmer stehen und stapfen gleich los. Schließlich wollen wir die Zeit nutzen, soviel als möglich zu erkunden und zu entdecken. Zuvor aber genehmigen wir uns in der „Boulangerie PAUL“ noch Kaffee bzw. Tee und Baguette. Während des Essens beobachten wir das Treiben um uns und blicken den vorbei flanierenden Leuten nach.
Welkom Bruxelles!
Anfangs schlendern wir ein wenig ziellos in den Straßen herum, doch als wir Musik hören, folgen wir ihr und landen beim Théâtre Royal de la Monnaie. Der Name Münze kommt daher, dass vor dem Bau der Brüssler Oper hier die Münzprägeanstalt gestanden hat. Der klassizistische Vorbau mit dem schönen Giebeldreieck stammt von 1819. Untermalt von Discomusik mit DJ Booth findet gerade auf dem kleinen Platz davor ein „3×3 Masters“ Basketball-Turnier statt.
Weiter geht’s durch die breite Rue des Fripiers – Kleerkopersstraat und hier spielt es sich ordentlich ab. Ein Geschäft reiht sich an das nächste, dazwischen Bars mit ihren Gastgärten. Ein wahrer Hingucker ist das imposante, gelbe Gebäude des Restaurants Drug Opera, das sich um die Ecke zieht.
Wir münden in die Rue du Marché und hier vermischt sich Fischgeruch mit dem Duft der süßen Waffeln. Eine interessante Kombination! Die Auslage des kleinen Lädchens Le P´tit Normand fesselt uns und beim Betrachten der Köstlichkeiten, wie Käse, verschiedenste Würste, Pasteten und Sulzen läuft uns das Wasser im Mund zusammen. Daneben strömt aus der Bäckerei der Duft des Baguettes. Viele der Menschen, die uns begegnen, haben auch irgendetwas Essbares in der Hand. Tauben wuseln zwischen den Füßen auf der Jagd nach den Resten, die von den Leuten einfach fallen gelassen werden oder zufällig runter purzeln.
An der Rue de la Bourse befindet sich die Ausgrabungsstätte Bruxella 1238, wo sich unter einer überdachten Glaskonstruktion die Überreste, die Grundfesten und Fundamente des Chors eines französischen Klosters aus dem Jahr 1238 befinden. Das einstige Franziskanerkloster wurde Ende des 18. Jhdt. abgerissen, nachdem es immer wieder schwere Schäden und Zerstörungen erlitt. Die Gräber wurden aufgerissen und die Steine zu Geld gemacht. Jeden ersten Mittwoch im Monat können die Ruinen im Rahmen einer Führung besichtigt werden.
Am Place de la Bourse stoßen wir auf den mächtigen Bau der Börse, deren Außenfassaden mit zahlreichen Dekorationen, Ornamenten und Statuen verziert sind. Zwei Figuren mit Flügel stehen für das Gute und Böse und die beiden Löwen neben der Treppe symbolisieren die Intelligenz und die Kraft. Das Relief an der Vorderseite zeigt die Szene Belgien – Bewahrer von Industrie und Handel. Viele Allegorien stehen für Kunst, Wissenschaft, Industrie, Wirtschaft oder Seefahrt. Ergänzt werden die Gruppen mit Ranken und Girlanden aus Früchten und Obst. Der Sims wird von korinthischen Säulen getragen, darüber ein Giebel mit einem Flachrelief. Leider liegt hier überall Müll herum, nicht schön zum Anschauen. Die Fassaden – Schmierereien gefallen uns aber, denn da stehen tolle Messages geschrieben, wie „Peace“, „Pray for the world“, „La Vie est belle“ oder „Je t´aime“. Auf den Treppenstufen der Börse und am Vorplatz tummeln sich Gruppen von Jugendlichen, die am Boden sitzend sich angeregt unterhalten oder essen. Im Blumenbeet ein Stück daneben schläft ein Obdachloser und ein anderer läuft mit seinem Becher schwenkend auf Erfolg hoffend von einem zum anderen.
Wir schlendern einmal um das bombastische Gebäude herum und betrachten den Bau. Schöne, alte Laternen, behängt mit üppigem Blumenschmuck säumen den breiten Boulevard. Die Pubs und Restaurant entlang der Straße werden von vielen Menschen bevölkert. In der Rue Henri Maus 49 befindet sich das berühmte Restaurant „Fritland“, wo es anscheinend die besten Pommes Frites von Brüssel geben soll. Belgien ist bekannt und stolz für seine Fritten, die zweimal in Rinderfett frittiert werden. Auf der Straße bekommt man sie in Papiertüten mit verschiedenen Saucen oder Mayonnaise. Bis über die Straße stellen sich hier die Leute geduldig an, wir werden uns ein andermal von der Köstlichkeit überzeugen.
Vorbei an der Börse biegen wir an der Église Saint-Nicolas in die Rue au Beurre ein. Die Kirche liegt mitten in den engen Altstadtgassen und an ihre Außenwände sind kleine Häuser angebaut, sodass sie auf den ersten Blick gar nicht als Kirche erkennbar ist. Wir lassen sie aber links liegen, uns zieht das Geschäft gegenüber „Le Comptoir de Mathilde“ mehr an. Schon beim Eintreten, öffnet sich das Schlaraffenland aus Süßem, Schokolade und anderen Köstlichkeiten. Unglaublich, was es da alles gibt! Die verschiedensten Schokokreationen, Karamell, Noisette, Spekulatius, Windbäckereien, Bonbons, Liköre, getunkte Nüsse, Salze, Eingelegtes und die Liste ist noch unendlich lange. Alles, was das Herz begehrt, ist liebevoll in Regalen aus Holkisten und Tischen präsentiert. Alles so hübsch und liebevoll verpackt. Es fällt uns hier wirklich schwer, nicht in einen Kaufrausch zu verfallen. Der Verkäufer lässt uns einiges probieren und auf den Geschmack gekommen, wählt jeder von uns zwei Pralinen aus. Wir packen das Sackerl aber gar nicht ein, sondern verdrücken die Kugerl schon vor dem Geschäft.
Wir flanieren die Straße weiter und aus beinah jeder zweiten Auslage lachen uns die süßen Leckereien an. Da soll man nicht schwach werden – weitergehn, es gibt hier nichts zu sehen!
Dann erreichen wir das Highlight des Tages, den Grand Place. Der Name sagt schon viel, nämlich, dass der Platz groß ist – nein, er ist mit seiner Länge von 110 Metern und einer Breite von 68 Metern seeeehr groß und nicht umsonst das Wahrzeichen von Brüssel. Seit 1998 gehört er mit dem Häuserensemble zum UNESCO Weltkulturerbe und die Häuser stehen unter Denkmalschutz. Der kopfsteingepflasterte Grote Markt wurde auf einem trockengelegten Sumpfgebiet angelegt und war schon im 11. Jhdt. das Zentrum der Stadt. Er diente als Versammlungsort und auch als Hinrichtungsstätte, heute findet hier wochentags der Blumenmarkt statt. Das Beeindruckendste aber sind die barocken Häuser, die den Platz umgeben. Im August 1965 wurden sie von französischen Truppen fast komplett zerstört, in den Jahren darauf aber wieder aufgebaut.
Wow, mit offenen Mündern stehen wir da und wissen erst gar nicht, wo wir als erstes hinschaun sollen. Nach einem Rundumblick widmen wir uns den Häuserzeilen, deren vergoldete Ornamente und Statuen jetzt in der Nachmittagssonne leuchten. In unserem Reiseführer haben wir die Zunfthäuser beschrieben und so starten wir an der Nordwestseite mit dem genaueren Studium. Im ersten Haus, Le Roi d´Espagne, war die Bäckerzunft zuhause, einst die reichsten der Stadt. Eine Büste von Karl II. und darüber Medaillons von vier römischen Kaisern zieren die Fassade. Daneben das Haus der Lebensmittelhändler, La Brouette. Ein aufgemalter goldener Schubkarren gibt dem Gebäude seinen Namen. Am Giebel steht der Schutzpatron der Gilde, der heilige Ägidius. Den Tischlern ist das nächste Haus gewidmet, Le Sac.
Über der Tür gibt es eine Abbildung, wo ein Mann Hände und Kopf in einen Sack steckt, Globus und Zirkel krönen den Giebel. Die römische Wölfin, die Romulus und Remus säugt befindet sich auf dem nächsten Haus, das den Namen, La Louve, die Wölfin trägt. Es ist das Gildehaus der Bogenschützen. Auf der Fassade des nächsten Hauses befindet sich im Zwischenstock ein goldenes Füllhorn, das dem Haus den Namen Le Cornet gibt, gewidmet der Zunft der Flussschiffer. Am Sims sitzen zwei Seepferdchen mit Reitern und ein Meeresgott mit Fischschwanz. Daneben befindet sich das Haus Le Renard, der Fuchs, das Zunfthaus der Kaufleute. Der Name kommt vom Künstler De Vos, der bekannt wurde durch das Flachrelief. An der Brüstung des Balkons stehen fünf Statuen, die die vier Erdteile und Justitia darstellen.
Dominiert wird der große Platz vom gotischen Hôtel de Ville, dem Rathaus, dessen Türme und Mauern den Beschuss von 1965 standhielt. Erst wurde 1401 nur mit einem Anbau an den vorhandenen 96 Meter hohen Glockenturm begonnen. Nach zwanzigjähriger Bauzeit war das Werk vollendet mit einer reich geschmückten Fassade, die übersät ist mit zahlreichen historischen und allegorischen Skulpturen. 1444 – 1448 erfolgte der Anbau und ein Jahr später wurde mit dem Austausch des Belfrieds begonnen. Heute ist über dem Eingangsportal ersichtlich, das die Eingliederung des Turms asymmetrisch verläuft. Der goldene Schutzpatron, der Erzengel Michael kämpft auf der Spitze des Turms mit dem Drachen.
Auf dem Platz und vor dem Stadhuis herrscht reges Treiben und vor dem Tor posiert ein Hochzeitspärchen, das eben ja zueinander gesagt hat. Mädels, die noch vor haben zu heiraten, ziehen mit ihren Poltergruppen mit Gesängen und Geschrei auf dem Platz. Stadtführer buhlen um die Gunst der Touristen und bieten die verschiedensten Touren durch Brüssel an. Ja, auch in der Pferdekutsche kann man die Stadt entdecken, es sind keine Grenzen gesetzt. Natürlich sind auch hier die Bettler unterwegs und quatschen die Leute an, um ein paar Münzen zu ergattern.
Weiter geht es mit der Häuserzeile neben dem Rathaus und den Anfang macht das kleinste Haus L´Étoile, der Stern. Es wurde nach dem Abriss über einem Säulengang wiederaufgebaut. Hier befindet sich das Denkmal vom berühmtesten Bürger der Stadt, Everard t’Serclaes. Er befreite Brüssel von der Herrschaft der Flamen und wurde daher zum Schöffen des Stadtrats gewählt. Everard wurde von seinem Feind überfallen und verstarb im Haus L´Étoile. Die Grabplatte zeigt den toten Everard und wer seine Hand berührt und sich was wünscht, dem wird der Wunsch auch erfüllt. Na dann streicheln wir halt mal drüber und wünschen uns was. Kann ja net schaden, Dankeschön.
Der Zunft der Fleischer ist das Haus daneben gewidmet, das einen Cygane, einen Schwan über dem Eingang zeigt mit ausgebreiteten Flügeln. Drei Statuen auf dem Dachsims symbolisieren die Landwirtschaft, das Metzgerhandwerk und den Überfluss. L´Arbre d´Or, der goldene Baum steht für das Zunfthaus der Brauer und beherbergt heute das Biermuseum. Ein goldenes Reiterstandbild von Karl von Lothringen ziert den Giebelaufbau.
Gegenüber dem Rathause befindet sich das Maison du Roi, deren Fassade in Neorenaissance gehalten ist. Auf niederländisch heißt das Gebäude Broodhuis, Brothaus, weil hier im Mittelalter in einem hölzernen Gebäude die Bäcker ihr Brot verkauften. Heute ist hier das Stadtmuseum untergebracht und zeigt gerade die Ausstellung Belle Époque, die Zeit um die Jahrhundertwende vom 19. auf das 20. Jhdt. Rechts vom Museum befinden sich die Häuser der Schneider- und Malerzünfte und sind ebenfalls mit vielen goldenen Ornamenten und Statuen übersät. Erwähnenswert die Büste der Heiligen Barbara, die Schutzpatronin der Schneider. Vom Giebel schaut Bischof Bonifaz herunter.
Das Maison des Ducs de Brabant, Haus der Herzöge von Brabant, sieht aus, als wäre es ein einziges. Jedoch verstecken sich hinter der großen Fassade die Zunfthäuser der Müller, Gerber, Maurer, Steinmetze, Wagner und Zimmerleute. Büsten von neunzehn brabantischen Herzögen und Medaillons mit Werkzeugen zieren die Fassade. Auch etwas Bekanntes entdecken wir, nämlich zwei Wappen mit dem kaiserlich-österreichischen Adler. Im Giebeldreieck wird in einem Flachrelief der Wohlstand dargestellt. Auch auf dieser Fassade wurden einzelne Elemente in Gold herausgearbeitet, um die Bedeutungen zu betonen.
Wir spazieren zum Haus La Brouette zurück, weil da eben auf der Terrasse ein Platz frei geworden ist. Bei Orangensaft und Zitronenlimonade und einer Waffel für Antonia gönnen wir unseren Füssen und unseren Köpfen ein wenig Erholung.
Wir nutzen den Tag noch und setzen unseren Spaziergang durch Brüssel fort. Am Ende des Rathauses biegen wir in die Rue Charles de Buls ein, die in die Altstadt führt. Hier gibt es viele Cafés und Lokale und jede Menge Geschäfte, die Brüsseler Spitzen, Souvenirs, Schokolade und vieles mehr verkaufen. Der Duft der Waffeln begleitet uns.
Wir erreichen die Kreuzung zur Rue de l’Étuve und die Seitenfassade des Hauses Nr. 33 ist von oben bis unten bemalt in blau und Kapitän Haddock, Tim und Struppi fliehen über die Feuertreppe. Schaut super aus! Seit 1991 sind in Brüssel bereits mehr als fünfzig Comics an Hauswänden entstanden und in der Tourist Info gibt es für einen Euro einen Plan, wo alle eingezeichnet sind. Belgien ist das Ursprungsland des Comics, wo es die meisten Comiczeichner gibt.
An der Ecke Rue de l’Etuve und Rue des Grands Carmes stoßen wir auf eine Menschentraube und als wir näherkommen, wissen wir den Grund. Hier befindet sich hinter Gittern der kleine, bronzene Menneken Pis, der vom Podest eines Brunnens herunter pieselt. Geschaffen wurde er 1619 vom Bildhauer Jerome Duquesnoy für dreißig Rheindukaten. Er hat 17 Kilo und ist 61 cm groß das Bürschchen und so beliebt, dass er schon mehrmals gestohlen wurde, sei es bei Lausbubenstreichen, als auch von Soldaten. Die jetzige stammt von 1965 und wurde schon oftmals kopiert, aus Metall, Plastik oder auch aus Schokolade. 1698 bekam er eine blau-weiße bayrische Tracht vom damaligen bayrischen Kurfürsten geschenkt und das war der Auslöser, dass er nun ständig Kleiderspenden erhält. Tausend besitzt der Kleine schon, die im Stadtmuseum ausgestellt sind. Darunter befinden sich nicht nur Fußball-Trikots, sondern auch ein Elvis-Look, eine Napoleon-Uniform, Kochkleidung, angezogen als Häftling, als Asterix oder er zeigt sich in einem Kondom. Heute hat er sich nicht schön gemacht, er zeigt, was er hat. Wie Millionen andere lichten auch wir das Bürschchen ab und machen Platz für die nächste Horde.
Wir schlendern die Rue du Chêne entlang und nach wenigen Metern stehen wir vor dem Museum La GardeRobe MennekenPis, von Weitem erkennbar am Graffiti an der Hausmauer. Der kleinste Bürger der Stadt hat die größte Garderobe und jedes Stück mit offenem Hosenstall und das alles maßgeschneidert. Wer kann sich denn heute sowas leisten? Hier sind 130 Kostüme vom Dauerpinkler ausgestellt und durch die Scheibe können wir einen Blick auf einige davon erhaschen. Da die Stadt gerade vom Fußball infiziert ist, sind Klone von ihm in der Auslage natürlich in Fußball-Trikots zu sehen. Den Gang hinein sparen wir uns aber und gehen weiter.
Am kleinen, dreieckigen Place de la Vieille Halle aux Blés treffen wir auf die Statue des Chansonniers Jacques Brel, der auf dem Platz seine Künste zum Besten gibt. Wir machen es uns auf einer Bank bequem und lesen über sein Leben in unserem Reiseführer nach. Dabei haben wir die Möglichkeit per Knopfdruck seine Hits zu hören. Geboren 1929, ist er in Brüssel aufgewachsen und ging schon bald nach Paris. Er trat von der Bühne ab auf dem Höhepunkt seiner Karriere und widmete sich der Schauspielerei. Es folgten Auf und Abs, er frönte dem Segeln und der Fliegerei und nahm 1977 nochmal eine Platte auf. Ein Jahr später ist er mit nur 49 Jahren an Lungenkrebs verstorben.
Wir kommen zur Kreuzung Rue du Marché aux Fromage und Brouwers Straat, wo vor den Türen der Bars und Brasseries die Tische und Stühle stehen und die vorbeiflanierenden Menschen einlädt zu einem Stopp. Das tun wir dann auch und bestellen in der Bar „Au Brasseur“ eine Dégustation Regular mit sechs Kostproben Draft Beer, serviert auf einer beschrifteten Holzpalette – für 19 Euro. Während wir warten, studieren wir die Karte noch weiter, die Bierauswahl hier ist auf jeden Fall größer als unser Durst. Dann ist es soweit, serviert werden sie in einer Art Rotweingläser mit kurzen Stielen. Die Farben sind gewöhnungsbedürftig, aber das erste Bier, das helle Délirium schmeckt schon mal ganz gut. Das bräunliche Kwak ist nicht meins, denn das ist mir zu süß. Dafür ist das dunkle, rauchige Waterloo unser beider Geschmack. Das rote Brugge Triple ist sehr fruchtig und ähnelt unserem Radler und Antonia findet Gefallen daran. Na, dann Salut! Das Tripel Karmeliet, wieder ein helles Bier ist auch trinkbar. Wolfgang opfert sich für das goldbraune La Trappe, einem Kopfweh-Bier.
Während wir die Biere nacheinander probieren, beobachten wir das Treiben um uns und da stellt sich schon die Frage, ob nicht der ein oder andere vom Fasching übriggeblieben ist. Auch Poltergruppen sind wieder unterwegs und eine Braut versucht, ihre String-Tangas zu verkaufen. Ein Bräutigam, bedeckt mit einem Elefantenhut aus Plüsch und eingewickelt in eine Brasilien-Flagge, wird aufgrund der Niederlage der Fußballer im WM-Halbfinale gegen Belgien bedauert. Ein Gekreische und Gejohle rundherum, es wird wie verrückt gefeiert und gesoffen.
Wir schaffen es, die Gläser zu leeren und haben danach einen leichten Schwips. So torkeln wir weiter ein wenig sinnlos in den Gassen herum. Kommentar des Tages von Antonia „der Tag ist voi schnell vergangen und i hob des Gfühl, i hob die ganze Zeit nur gegessen“.
Jetzt ist es halb sechs Uhr und wir haben Hunger, daher begeben wir uns in den Gassen auf die Suche nach einem geeigneten Restaurant. Wir landen schließlich in der Brasserie „Roue d’Or“ in der Rue des Chapeliers 26. Obwohl der Innenraum wunderschön im Jugendstil ausgestattet ist, setzen wir uns draußen an einen Tisch, wo uns eine Mutzi Gesellschaft leistet. Antonia und Wolfgang bestellen Muscheln und für mich gibt´s Kabeljau in Petersielenkruste auf Kartoffel-Carpaccio.
Um 20:00 Uhr brechen wir mit dicken Bäuchen Richtung Hotel auf. Am Grand Place legen wir einen kurzen Stopp ein, um den Jungs, die mit Plastikkugeln Boules spielen, zuzusehen. Dürften leicht angeheitert sein, nach dem Spiel zu urteilen, denn die Bälle kugeln zwischen den Füssen der Touristen herum.
Über die Rue de la Colline erreichen wir den Marché aux Herbes / Grasmarkt, wo unter den Bäumen vier Burschen Musik zum Besten geben. Die Band ist eingekreist von vielen Menschen, einige filmen auch brav, aber kaum einer lässt sich Mitreißen, geschweige denn, dass sie ihren Obolus in die offene Gitarrenbox werfen. Nur eine kleine Maus wirbelt herum, dass ihre blonden Locken hüpfen. Wir hören eine Weile zu und erstehen dann eine CD und jetzt wissen wir, dass sich die Gruppe Boston Cover Instrumental Band nennt. Die Jungs sind wirklich, wirklich gut! Vorweggenommen, ihre Musik begleitet mich nach dem Urlaub wochenlang während der Autofahrt zur und von der Arbeit.
Einige Schritte müssen wir wieder zurück gehen, um zur Galerie de la Reine, auch Galeries Royales Saint-Hubert genannt, zu kommen. Unscheinbar von außen, öffnet sich eine atemberaubend tolle und elegante Einkaufspassage. Die 213 Meter lange Passage mit den stuckverzierten Wänden ist überdacht von einem gewölbten Glasdach und wurde 1847 eröffnet. Wir sind begeistert von der Architektur, zumal wir sie aufgrund der wenigen Menschen auch ungestört bestaunen können. Da die Zeit heute schon fortgeschritten ist, sind die Geschäfte bereits geschlossen. Doch eines hat die Tür noch offen, das Corné Port Royal und hier erhaschen wir noch einen Blick in die prall gefüllten Vitrinen. Da lachen uns die Trüffel, Kekse und die bunten Macarons an, doch wir widerstehen ihnen und bestaunen noch die wunderschöne Geschäftseinrichtung im Jugendstil. Die imposante Deckenlampe taucht den Innenraum in ein warmes Licht. Wir schlendern weiter und betrachten die Auslagen der nächsten Läden. In historischer Kulisse befinden sich hier Designergeschäfte mit höherpreisigen Schuhen, Hüten, Schmuck und Uhren. Dazwischen liegen kleine Bäckereien und Confiserien, wie die Schoko-Manufaktur von Maîtres Chocolatiers Jean Neuhaus. Der Apotheker überzog einst seine Medikamente mit Schokolade zur Versüßung der bitteren Pillen. Sein Enkel füllte die Schokolade mit köstlichem Inhalt und somit war die original belgische Praline erfunden. Hätten wir die dicke Geldtasche mit, könnte man hier echt stilvoll flanieren und vielleicht den Tag im Kino ausklingen lassen, denn das gibt es hier auch.
Am Ende der Passage liegt angedockt die kleine Passage du Nord, die der großen aber um nichts nachsteht. Auch hier ist heute nichts mehr los, daher verlassen wir sie wieder und schlendern in den Straßen Brüssels weiter.
Wir biegen in die Sackgasse Impasse de la Fidelité ein, wo sich gegenüber dem Délirium Café die Schwester vom Manneken Pis befindet. Um zur kleinen Jeanneke Pis vorzudringen, müssen wir uns durch die Massen der Jugendlichen durchgraben. Es ist Samstag, es ist Feierabend, wir befinden uns in einer Weltstadt und es ist Fußball-WM, kein Wunder, dass es hier nur so wimmelt von Menschen. Das 50 cm kleine weibliche Pendant zum Manneken Pis hockt nackig über einem Stein und pinkelt in ein Loch. Sie wurde 1985 vom Bildhauers Denis-Adrien Debouvrie erschaffen, um die Gleichberechtigung wiederherzustellen.
Es macht den Anschein, als wäre die halbe Stadt unterwegs, denn an jeder Straßenecke sitzen die Menschen gemütlich in den Bars und Cafés und lassen es sich so richtig gut gehen. Da wird gemütlich gegessen, getrunken, gequatscht und gelacht. Musik vom Band oder von Musikanten trägt zur ausgelassenen Stimmung bei und auch wir lassen uns von der unbeschwerten Atmosphäre anstecken.
Vor dem Hotel hängen die Obdachlosen und Bettler rum, als wir um 21:00 Uhr dort ankommen. Kein Wunder, dass aus diesem Grund die Tür nur mittels Zimmerkarte zu öffnen ist. Wohlbehalten erreichen wir unser Appartement, wo wir noch Pläne für den nächsten Tag schmieden, bevor wir müde in die Betten sinken.